Das ist schon eine der skurrilsten Geschichten des Fußballs: Da wird einer als zu jung und zu nassforsch identifiziert, fliegt bei den Bayern raus, es schadet ihm aber gar nicht so sehr, weil nach ihm die Ergebnisse schlechter werden – und dann gerät er durch eine Verkettung von Umständen auf die Elder-Statesman-Position schlechthin, wird Bundestrainer und kann nun entscheiden über die weitere Karriere dessen, der im Verein seinen Abgang mitbetrieben hat: Julian Nagelsmann strahlt zurecht über die Chance, die sich ihm darbietet, und die Größe der Aufgabe, das nationale, gesamtgesellschaftliche und somit höhere Interesse, macht die Befindlichkeiten seines Widersachers Manuel Neuer zur Petitesse.
So einen Weg ins Bundestrainer-Amt wie bei Julian Nagelsmann hat es in der deutschen Fußball-Geschichte noch nicht gegeben, doch man muss auch nicht immer einer Vorlage folgen. Als er mit 28 zum künftigen Trainer der TSG Hoffenheim für den Neuaufbau in der 2. Liga bestimmt wurde, sich aber in der Not des Vereins auf das Risiko des Abstiegskampfs in der Bundesliga einließ, ging er auch schon ins Risiko; die damalige Situation war der jetzigen nicht unähnlich. Sucht man nach einer Empfehlung, dann ist Nagelsmanns erste Profistation durchaus eine. Im Kraichgau hat Nagelsmann den Nachweis erbracht, dass er sofort Wirkung erzielen kann – was ihn etwa abhebt von Louis van Gaal, der (das sollte man bei aller nachträglichen Verklärung des niederländischen Kauzes nicht außer acht lassen) bei seiner einzigen Deutschland-Station, dem FC Bayern, 2009 so miserabel startete, dass er ein Spiel (das bei Juventus Turin) vor der Entlassung stand.
Julian Nagelsmanns erster Auftritt am Freitagmittag, gleich nach der Vertragsunterzeichnung, hat gezeigt, dass er weiß, worum es geht: jetzt erst einmal nicht um wolkige Visionen, sondern darum, eine schwere Aufgabe pragmatisch anzugehen. Klare Ausrichtung auf einen Endpunkt, die Europameisterschaft, und nicht darüber hinaus. Und auch wenn vieles dagegenspricht: Es ist legitim, den Gewinn des Titels als Ziel auszurufen, und es muss nicht zwangsläufig das Scheitern bedeuten, wenn die Nationalmannschaft weniger erreicht. Es genügt dann auch, wenn nach dem Sommer 2024 darüber gesprochen wird, wer den Job fortführt.
Guenter.Klein@ovb.net