Berchtesgaden – Sechs Olympiasiege, neun WM-Titel, 52 Weltcup-Erfolge: Natalie Geisenberger hat alles gewonnen, was es im Rennrodeln zu gewinnen gibt. Und das mehrfach. Doch es gibt eine dieser unzähligen Sternstunden, die sich besonders in ihr Gedächtnis gebrannt hat.
„Peking war das i-Tüpfelchen meiner Karriere“, sagt Geisenberger. Ihr Comeback als Mutter mit dem Olympiasieg zu krönen, sei einfach „Wahnsinn“ gewesen – und ihr Dasein als Mama ist nun auch der Grund für ihren Rücktritt vom Leistungssport. Mit 35 Jahren stellt Geisenberger ihren Schlitten nach einer einmaligen Karriere beiseite.
„Ich blicke mit zwei lachenden Augen zurück und freue mich mit zwei lachenden Augen auf die Zukunft“, sagt Geisenberger in ihrem Abschieds-Interview im BR. „Jetzt steht die Familie komplett im Vordergrund.“ Nach 16 Jahren im Weltcup-Zirkus wolle sie ihre Kinder „aufwachsen sehen“.
Schon nach ihrem Erfolg von Peking, wo sie keine zwei Jahre nach der Geburt ihres Sohnes Leo zur erfolgreichsten deutschen Winterolympionikin aufgestiegen war, hatte die Rodel-Mama mit einem Abschied geliebäugelt. Spätestens die Geburt von Töchterchen Lina im Januar dieses Jahres hat diese Entscheidung nun „so leicht“ gemacht: „Ich könnte nicht stolzer und dankbarer sein.“
Als „Legende“ und die „Allergrößte“ feierte ihr langjähriger Weggefährte Felix Loch die Rekordweltmeisterin aus Miesbach. Loch begleitete Geisenberger die gesamte Karriere, war dabei, als in Whistler 2010 erstmals Bronze bei Olympia heraussprang – und in Sotschi 2014, Pyeongchang 2018 und schließlich Peking 2022 ihre drei Doppel-Triumphe im Einsitzer und Team folgten: „Du wirst mir fehlen!“
Dabei war das Rennrodeln und Natalie Geisenberger tatsächlich eine Liebe auf den zweiten Blick. Die gebürtige Münchnerin galt früh als großes Talent – auch wenn sie nach ihren ersten Fahrten nicht so begeistert war, wie ihr Vater es sich erhofft hatte. Lieber fuhr sie Ski. „Mein Vater überredete mich, es noch mal zu probieren. Er würde doch so gern Rodeln anschauen, und er will nicht den Hackl Schorsch, sondern mich gerne sehen“, berichtet Geisenberger. Die Überzeugungsarbeit, sie hatte Erfolg.
Geisenberger stieg nach ihrem Weltcup-Debüt 2007 in Altenberg nach und nach zum Gesicht der Sportart auf, gewann acht Mal den Gesamtweltcup, wurde als „Gold-Geisi“ gefeiert. Peking vollendete vor einem Jahr ihr persönliches Märchen.
Ihr Abschied reißt nun zwangsläufig eine gewaltige Lücke, in die andere wie Vize-Weltmeisterin Julia Taubitz oder die Olympia-Zweite Anna Berreiter schlüpfen wollen. Für Norbert Loch ist Geisenberger aber ein Vorbild weit über das Rennrodeln hinaus. „Ihre größte Leistung in ihrer sportlichen Karriere sind nicht die unzähligen Siege und Topleistungen, sondern ihre Akribie und die Zielstrebigkeit, mit der sie ihren Sport betrieben hat“, sagte der Bundestrainer: „Dieser Wille und ihre Einstellung zum Leistungssport sollten für alle Sportler beispielgebend sein.“ sid