Manama – Fortsetzung der Suspendierung, Wiedereingliederung als neutrale Athleten – oder gar eine komplette Rückkehr zur alten Normalität? Auf der Generalversammlung des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) entscheidet sich in dieser Woche das Schicksal der russischen und belarussischen Behindertensportler für Paris 2024. Bei schier erdrückenden 40 Grad müssen die Entscheidungsträger in den stickigen Hochhausschluchten von Manama kühlen Kopf bewahren – es steht viel auf dem Spiel.
Denn der Beschluss in der Hauptstadt Bahrains taugt definitiv auch als Fingerzeig für das auf Zeit spielende Internationale Olympische Komitee (IOC). Im Rahmen der für Donnerstag und Freitag angesetzten Vollversammlung der Nationalen Paralympischen Komitees wird sich in der Russland-Frage ein weltweites Stimmungsbild ergeben. Sind die Länder aller Kontinente tatsächlich wieder offen für eine Rückkehr der Kriegstreiber? Thomas Bach wird das mit Interesse aus der Zuschauerrolle verfolgen.
Die Haltung des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) ist klar. „Wenn Krieg herrscht und dieser mörderische Angriff jeden Tag nicht nur fortgesetzt, sondern in seinen Auswirkungen immer schlimmer wird, ist es einfach unvorstellbar, im friedlichen Wettkampf gegeneinander anzutreten“, sagte DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher. Der DBS stehe damit „in einer Linie mit den europäischen Komitees und mit vielen nationalen Paralympischen Komitees aus anderen Teilen der Welt“.
Er werde „für diese deutsche und europäische Friedensposition auf der Konferenz werben“, so Beucher weiter. Unterstützung gab es von der Athletenvereinigung Global Athlete: „Gemeinsam mit Athleten aus der ganzen Welt fordern wir das IPC auf, den Druck von Russland, Belarus und dem Internationalen Olympischen Komitee zurückzuweisen“, heißt es in einem offenen Brief. Es müsse weiter „ein vollständiges Verbot“ für Russland und Belarus geben.
Mit Einigkeit rechnet Beucher keinesfalls. Man müsse, so der 77-Jährige, „aufgrund der Weltlage damit rechnen, dass es dort auch Bestrebungen außerhalb von Europa geben wird, ein Startrecht von Russen und Belarussen zu ermöglichen“. Beide Nationen sind bis auf Weiteres nicht mehr Mitglieder des Internationalen Paralympischen Komitees. Von Seiten des IPC gibt es bislang auch keine Empfehlung, Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus wieder unter Auflagen an Wettkämpfen teilnehmen zu lassen – im Gegensatz zum IOC.
Das hatte den internationalen Fachverbänden im Winter die Wiederzulassung von russischen Einzelsportlern offiziell empfohlen. Seitdem erwarten viele Experten, dass Russland dadurch trotz seines Angriffskrieges in der Ukraine der Weg nach Paris geebnet werden soll. Eine Entscheidung über die politisch umstrittene Olympia-Teilnahme von russischen Sportlern will das IOC „zu gegebener Zeit“ treffen.
Beim für Freitag zu erwartenden Beschluss in Sachen Paralympics lehnt Beucher auch eine Teilnahme von sogenannten neutralen Athleten aus Russland und Belarus ab. „In kriegsführenden Ländern gibt es keine Neutralität“, betonte der frühere SPD-Politiker. „Die Abschaffung der Identifikation ändert nichts an der Tatsache, dass eine Mannschaft oder ein Sportler sein Land repräsentiert“, ergänzte Global Athlete.
Bach und Co. werden sicher gespannt nach Manama blicken. sid