Frankfurt/Main – Es grenzte an ein kleines Wunder, dass Gianni Infantino niemanden vergaß. Der FIFA-Boss gratulierte und gratulierte und gratulierte, als die Mega-WM 2030 beschlossen war. Auf Spanisch, auf Portugiesisch, und natürlich auch auf Arabisch. Doch kaum hatte der Schweizer den sechs Ausrichterländern in einer Videobotschaft mit einem zufriedenen Grinsen seine Glückwünsche ausgesprochen, da begannen die Diskussionen über die zweifelhaften Hintergründe der überraschenden Entscheidung.
Der Weltverband habe „ohne ein transparentes Verfahren“ verkündet, dass die WM auf drei Kontinenten stattfinde und „damit den Weg geebnet, dass Saudi-Arabien das Turnier 2034 ohne Gegenwehr ausrichten kann“, kritisierte Minky Worden von Human Rights Watch (HRW). Aus Sicht des Netzwerks von Fußballfans in Europa (FSE) rolle die FIFA einem Gastgeber „den roten Teppich aus, der eine erschreckende Menschenrechtsbilanz aufweist“.
Saudi-Arabien, das Land, das mit gigantischen Summen den Fußball flutet, um sein Image aufzupolieren, preschte wenig überraschend schnell nach vorne – und der Weg ist wohl frei. Ermöglicht wird dies durch die gigantische FIFA-Party 2030 zur 100-Jahr-Feier in Spanien, Portugal und Marokko sowie Uruguay, Argentinien und Paraguay, die vom Kongress im nächsten Jahr nur noch abgenickt werden soll. Aufgrund des Rotationsprinzips bleiben für die Ausgabe 2034 nur Asien und Ozeanien. Ein Trick?
Alle seien „einen Schritt aufeinander zugegangen und haben das gemeinsame Interesse über ihre eigenen Interessen gestellt“, schwärmte Infantino. Aus seiner Sicht vereine die FIFA mit den Plänen für 2030 „eine geteilte Welt“. RB Leipzigs Trainer Marco Rose spottete dagegen, dass man irgendwann auf dem Mount Everest spiele, „weil wir da einen Fußballplatz hingezaubert kriegen“. Das Netzwerk FSE sieht gar „das Ende der WM, wie wir sie kennen“ gekommen – nicht nur aufgrund des großen Schritts Richtung Saudi-Arabien.
Neben den Kosten für die Anhänger erwarten einige Teams 2030 gewaltige Reisestrapazen. Fragezeichen stehen auch hinter den FIFA-Nachhaltigkeitsplänen. Laut der Organisation Carbon Market Watch könne das Turnier das „Rezept für eine Katastrophe“ beinhalten.
Da der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, der die Zerstückelung des Journalisten Jamal Khashoggi in Auftrag gegeben haben soll, für 2034 derweil „ein wundervolles und beispielloses Erlebnis“ plant, schlagen auch Menschenrechtler Alarm. Worden befürchtet unter anderem, dass beim Bau der Infrastruktur „Millionen von Arbeitsmigranten missbraucht werden“ könnten.
Philip Krämer, stellvertretender Vorsitzender des Sportausschusses im Bundestag, sieht generell auch den Deutschen Fußball-Bund (DFB) in der Verantwortung, der „sich in den Gremien der FIFA grundsätzlich für klare Menschenrechtsstandards und ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit einsetzen und positionieren“ solle. Zudem brauche es „dringend“ unter anderem „eine internationale Anti-Korruptions-Agentur“, sagte der Grünen-Politiker.
Endgültig ist zwar noch nichts entschieden, wer in elf Jahren die WM ausrichten darf. Dazu beteuerte Australien, dass weiter eine Bewerbung für 2034 geprüft werde. Doch die asiatische Konföderation AFC sicherte Saudi-Arabien bereits Unterstützung zu – und es bleibt nur Zeit bis Ende Oktober.
Saudi-Arabien gilt trotz vieler Bedenken als haushoher Favorit. Mit der Aussicht auf den WM-Zuschlag dürfte der Wüstenstaat weitere Millionen in die FIFA pumpen. Geld, das Infantino an die Verbände verteilen kann, um seine Macht zu zementieren. Die wegweisende Entscheidung zur Vergabe 2030 mit den Folgen für das Turnier vier Jahre später, die hinter verschlossenen Türen getroffen wurde, fiel nach FIFA-Angaben einstimmig. Auch DFB-Chef Bernd Neuendorf sitzt im FIFA-Council. sid