München – Es lief gestern Abend die 58. Minute, als die Fans ihre Meinung mit allen 75 000 Anwesenden in der Allianz Arena teilten. „Misogyne Gewalt ist keine Privatsache“, war in der Südkurve in großen Lettern zu lesen – natürlich eine Anspielung auf den Fall Jerome Boateng, der den FC Bayern in der vergangenen Woche beschäftigt hatte. Dass es am Ende nur eine Beinahe-Verpflichtung wurde, ließ den Protest nicht ausbleiben. Vielmehr stand auf einem weiteren Banner: „Kein Platz für Charakterschweine im Verein – weder auf dem Feld noch im Vorstand.“ Das galt wohl auch Max Eberl, dem Sportvorstand in spe.
Die Bosse hatten schon vor Anpfiff klargestellt, wie sie den Fall einordnen. „Was jetzt geschrieben oder berichtet wurde: häusliche Gewalt oder Gewalt gegen irgendwen anderen, oder gegen Kinder. Das sind Werte für uns, die für uns unerlässlich sind und nicht zu tolerieren sind. Da gibt es auch keine Akzeptanz“, sagte etwa Christoph Freund. Der Sportdirektor hatte die Anschuldigungen der häuslichen Gewalt, wegen derer Boateng sich vor Gericht verantworten muss, unter der Woche als „kein großes Thema für uns“ bezeichnet. Der Gegenwind war seitdem immer größer geworden.
Boateng weiß seit Freitag Bescheid. Obwohl der 35-Jährige gute Fitnesswerte hatte, konnten die Bayern-Bosse eine Vertragsvorlage nicht für gutheißen. Dabei war bzw. ist der Kader gerade in der Innenverteidigung dünn. „Wir hatten nach dem Bochum-Spiel und vor dem Münster-Spiel erhebliche Probleme mit der Innenverteidigung. Dann kam die berühmte Kreativität von Thomas Tuchel“, erklärte CEO Jan-Christian Dreesen bei „Bild TV“ und bekräftigte die These, nach der es der Cheftrainer höchstpersönlich war, der eine Rückkehr Boatengs ins Spiel gebracht hatte. Der Entschluss gegen eine Verpflichtung hatte dann allerdings auch mit den Gewaltvorwürfen seiner Ex-Freundinnen gegenüber dem Spieler zu tun. Dreesen: „Es ist ja nicht so, dass wir ignorant durchs Leben schreiten. Im Gesamtkontext haben wir uns gemeinsam mit Jerome entschieden, dass wir von einer Verpflichtung absehen.“
Es muss nun der Kader reichen, der da – und seit Samstag um einen Mann dünner – ist. Denn Pechvogel Raphael Guerreiro erlitt im Training einen Muskelfaserriss und wird erneut bis auf Weiteres fehlen. „Wir können es alle nicht glauben, er hat sich die Verletzung zwischen den Trainings zugezogen“, sagte Tuchel. Der Neuzugang war gerade erst wieder fit. hlr, bok
Pechvogel Guerreiro fällt erneut aus