Schon klar, die Welt dreht sich auch nach der Heim-EM weiter. So begründete Rudi Völler die hanebüchene Entscheidung, ausgerechnet jetzt eine Promo-Reise in die USA anzutreten: keine neun Monate vor Turnierstart und mitten im Bundesligabetrieb. Doch wie sich die fußballerische Welt des DFB weiterdreht, hängt auch mit den Ergebnissen davor zusammen. Damit Stimmung vorm Turnier aufkommt, sollten möglichst viele Fans zuschauen, am besten vor Ort. Bei Spielen in zigtausend Kilometern Entfernung und zu abstrusen Anstoßzeiten (die DFB-Elf spielt gegen Mexiko um zwei Uhr morgens) ist genau das Gegenteil der Fall. Und dem neuen Nationaltrainer wird damit direkt ein Bärendienst erwiesen: 40 Stunden nach Rückkehr der Spieler tritt Borussia Dortmund bereits gegen Bremen an. Sollte Julian Nagelsmann die BVB-Spieler trotzdem aufstellen, werden sich die Verantwortlichen beschweren. Sollten Brand, Süle, Füllkrug und vor allem der wieder nominierte Mats Hummels nicht spielen, ist ihm der Ärger seiner eigenen Schützlinge sicher. Schlechte Stimmung in der Mannschaft oder den Ärger der Vereine: Nagelsmann muss ausbaden, was die DFB-Chefs schon vor Monaten verbockt haben.
Und so kommt sein Trainer-Debüt zum undankbarsten Zeitpunkt. Durch den Überraschungserfolg gegen Frankreich hat sich die Erwartungshaltung verändert. Zwei Siege gegen die USA und Mexiko verkommen zur Pflicht, um die zarte Euphorie aufrechtzuerhalten. Vor allem muss Nagelsmann aber beweisen, dass er eine Disziplin besser als sein Vorgänger beherrscht: Während Hansi Flick bei seinen Auftritten zu Katar und der One-Love-Binde oft überfordert wirkte, geht es bei Nagelsmann gleich zu Beginn darum, sportpolitische Entscheidungen charmant abzumoderieren.
„Aus Vereinstrainersicht, da braucht man nicht rumzulügen, ist es relativ normal, dass man der Reise kritisch gegenübersteht. Das würde ich wahrscheinlich genauso sagen, wenn ich noch im Verein wäre“, sagte der ehemalige Bayern-Coach vor Abflug am Montag in Frankfurt. Eine diplomatische Antwort zur Besänftigung von Tuchel und Co., ohne seinem neuen Arbeitgeber in den Rücken zu fallen. Damit Nagelsmanns Mission beim DFB erfolgreich verläuft, wird er sich in dieser Tugend noch öfter unter Beweis stellen müssen.
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