„Dieser Laden muss aufgeräumt werden“

von Redaktion

Ex-Präsident Fritz Keller über den DFB und Nachfolger Neuendorf – Kritik an Rettig

Fritz Keller war von September 2019 bis Mai 2021 Präsident des deutschen Fußball-Bundes, nachdem er zuvor zehn Jahre lang dem SC Freiburg vorgestanden hatte. Der 66-Jährige, Patenkind von 54-Weltmeisterkapitän Fitz Walter, schaltet sich schon fünf Minuten vor dem vereinbarten Termin ins Videogespräch. Dann spricht der ehemalige Verbandschef fast 90 Minuten lang.

Herr Keller, wie beurteilen Sie den seit anderthalb Jahren amtierenden DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf?

Er ist ein sehr sympathischer Mensch. Aber er hat es schwer. Es ist so viel unter den Teppich gekehrt worden in den vergangenen Jahren, es sind immer noch Verfahren anhängig. Ich würde erwarten, dass der DFB die Missstände in seiner internen Revision konsequenter angeht und nicht irgendwie hofft, dass alles unterm Teppich bleibt. Dieser Laden muss aufgeräumt werden. Das ist immer noch nicht ausreichend passiert.

Der DFB steckt finanziell arg in der Klemme. War das unter Ihrer Führung schon absehbar?

Durchaus. Die Gefahr der Aberkennung der Gemeinnützigkeit und der sachgerechten steuerlichen Anmeldung war nach den diversen Razzien voraussehbar.

Tatsächlich kam es rückwirkend für die Jahre 2014 und 2015 genauso. Hinzu kommt wegen der Sommermärchenaffäre das Jahr 2006. Der DFB musste insgesamt Rücklagen von fast 50 Millionen Euro bilden.

Ja, und weil man weiß, dass der DFB so löchrig ist wie ein Großsieb, mussten die operativen Fachleute im Finanzbereich, auf die niemand gehört hat und die man loswerden wollte, teuer abgefunden werden. Da wurde sozusagen Schweigegeld bezahlt. Es ist unfassbar, wie viel Geld der DFB alleine für Anwaltskanzleien und dubiose „Aufklärungs“-Firmen ausgegeben hat. Geld, das für den Fußball ausgegeben werden sollte, nicht für Juristen und Ex-Geheimdienstler. Das sind aus meiner Sicht alles Fälle von Untreue.

Ist der Campus mit 180 Millionen Euro zu voluminös und teuer geworden?

Der Rohbau stand ja praktisch schon, als ich Präsident geworden bin. Natürlich ist er zu teuer geworden. Er ist zu protzig und großkotzig geraten. Und zu wenig funktional und ökologisch. Aber ich halte es grundsätzlich für richtig, dass es einen Campus gibt.

Allerdings ohne die Möglichkeit, dass die A-Nationalmannschaften dort auch übernachten!

Unfassbar. Dazu mit einer Indoorhalle, die man im Sommer besser als Großsauna nutzen könnte. Sogar komplett energieneutral (lacht).

Sie selbst haben seinerzeit darauf gedrungen, dass ein DFB-Präsident eine Gehaltsobergrenze bezieht. Die wurde vom DFB-Vergütungsausschuss bei 246 000 Euro pro Jahr festgelegt. Inzwischen ist sie wieder kassiert worden.

Ich finde es sehr bedauerlich, dass Funktionäre nun wieder bis zu 700 000 oder gar 800 000 Euro kassieren können. Der DFB-Bundestag hat das im März 2022 so entschieden. Das wurde im Paket brav abgenickt, ohne dass es die meisten Delegierten überhaupt mitgekriegt hätten. Hinzu kommt, dass DFB-Präsidiumsmitglieder Dienstwagen der gehobenen Mittelklasse bis Oberklasse fahren durften, ohne den geldwerten Vorteil mit der steuerlichen Ein-Prozent-Regelung abzugelten. Gleichzeitig will man sich sozialer und fannäher geben. Wie glaubwürdig das dann ist, kann jeder selbst beurteilen.

Was hat Sie noch gestört?

Die Pöstchenverteilung für Funktionäre. Da werden Leute gut dotiert als Delegierte zu UEFA- und FIFA-Spielen geschickt, die kaum ein Wort Englisch sprechen. Der DFB ist meiner Meinung nach vermutlich immer noch ein Selbstbedienungsladen. Das Geld gehört den Fußballspielerinnen und Fußballspielern. Ein Bernd Neuendorf hat es in diesem Umfeld sehr schwer. Aber immerhin scheint mir, dass er mit Stephan Grunwald zum ersten Mal einen kundigen Schatzmeister an seiner Seite hat, der richtigerweise kürzlich zum hauptamtlichen Finanzdirektor gewählt wurde.

Sie haben von Beginn an klargestellt, dass Sie als DFB keine hochdotierte Berufung ins FIFA-Council oder UEFA-Exko anstreben. Warum nicht?

Weil ich dann Teil einer Institution geworden wäre, deren Lieder ich hätte mitsingen müssen. Das wollte ich nicht. Ich wollte den DFB unabhängig vertreten, ohne in Interessenskonflikte zu geraten.

Bernd Neuendorf hat sich nun in genau diese Situation manövriert. Er gehört seit kurzem zum mächtigen FIFA-Council, kassiert allein dort rund 250 000 Dollar pro Jahr. Wie bewerten sie das gerade vor dem Hintergrund der überraschenden WM-Vergabe 2030 – mit Plazet von Neuendorf in einer Nacht-und-Nebel-Aktion – und der Aussicht auf eine WM 2034 in Saudi-Arabien?

Das bedrückt mich. Einerseits. Fragen muss man sich aber auch, mit welchem Recht wir in Europa Menschen in islamischen Ländern ein Recht auf große Fußballturniere absprechen. Und FIFA-Präsident Gianni Infantino weiß: Er braucht Europa gar nicht mehr. Einer wie Neuendorf spürt das doch auch. Wenn er dagegen gestimmt hätte, hätte er sich weiter isoliert. Er hat mit dem Einzug ins FIFA-Council seine Unabhängigkeit aufgegeben und kann seine Stimme nun nicht mehr unabhängig erheben. Ich wünsche mir weniger Symbolpolitik und billige Gesten, sondern eine ernsthafte öffentliche Auseinandersetzung mit diesen Themen.

Sehr scharf debattiert wird derzeit die Talentförderung. DFB, DFL und Clubs wollen sie gemeinsam verbessern. Was muss getan werden aus Freiburger Sicht?

Ich habe schon vor 15 Jahren wahrgenommen, dass wir vor allem gegen Jugendmannschaften aus Frankreich kaum eine Chance hatten. Die waren uns schon damals Meilen voraus. Frankreich ist ein wunderbares Beispiel, wie man mit dem Fußball in sozialen Brennpunkten Gutes tun kann. Leider wurden hierzulande Reformbemühungen immer wieder geblockt.

Warum hat das alles so furchtbar lange gedauert, nachdem das „Projekt Zukunft“ von Oliver Bierhoff schon 2019 vorgestellt und immer wieder torpediert wurde?

Weil einige Landesverbände gedealt haben. Weil es mehr um die Egos einzelner geht als um die Kinder. Es ist ein Wahnsinn, und Fakt ist: Für die Größe unseres Landes entwickeln wir viel zu wenige Toptalente.

Inzwischen hat der DFB Andreas Rettig als Sport-Geschäftsführer engagiert. Was halten Sie von dieser Personalie?

Ich frage mich durchaus, ob Rettig die weitreichenden Aufgaben, die dieser gut dotierte Job erfordert, erfüllen kann. Er ist sicher mit großem Herzen dabei, aber er hat eine Vergangenheit in der DFL, die nicht ruhmreich verlaufen ist. Ich fand auch seine populistische Rolle in diesem Frühjahr als Bremser in der Investorendebatte für die Bundesliga kritikwürdig. Deshalb wird es für ihn eine ganz schwere Aufgabe. Und noch etwas stört mich.

Was denn?

Rettig hat für Bernd Neuendorf den Wahlkampf ums DFB-Präsidentenamt geführt. Im Gegenzug erhält er nun diese herausgehobene Position im DFB. Das hat mindestens ein Geschmäckle. Darüber hinaus braucht diese Position in der heutigen Zeit auch jemand, der die Digitalisierung auch in diesem Bereich voranbringt.

Interview: Jan-Christian Müller

Artikel 2 von 11