München – Über den eingewechselten Manfred Starke gelangte der Ball noch einmal in die Spitze. Es lief die 89. Minute, und den Löwen bot sich die Chance, einen Fluch zu besiegen. Albion Vrenezi kam herbeigesprintet, hatte plötzlich nur noch Schulze-Niehues vor sich – und schoss Münsters Torwart in die Arme. Damit war sie vertan, die Gelegenheit, dem Spiel nach dem späten Gegentor zum 1:1 eine noch spätere Wende zu geben – eine zum Guten, was ein Novum für 1860 in dieser Saison gewesen wäre.
Es ist ein wiederkehrendes Muster, das die Fans und zunehmend auch den Trainer zur Verzweiflung treibt. Obwohl die Löwen vieles richtig machen, beherrschen sie zwei elementare Dinge nicht: Sie tun sich schwer damit, Führungen über die Zeit zu bringen – und sie schaffen es nicht zurückzuschlagen, wenn der Gegner, egal wann, doch einmal das blaue Bollwerk überwunden hat.
Münster war bereits das vierte Spiel, in dem die Löwen trotz einer 1:0-Führung nicht gewonnen haben. Gegen Lübeck, Aue und in Ingolstadt setzte es danach sogar noch Niederlagen. Auffällig zudem: Ob das Gegentor früh fällt wie in Ulm oder spät wie in Münster: Jacobaccis Team, so bemüht es ist – es scheint nach Rückschlägen moralisch so einzuknicken, dass der Glaube fehlt, Chancen wie die von Vrenezi am Sonntag siegbringend zu verwandeln. „Das ist schade wegen des ganzen Aufwands, den wir betrieben haben“, haderte Maurizio Jacobacci: „Leider haben wir es am Schluss nicht verstanden, mehr Ruhe ins Spiel zu bringen und den Ball laufen zu lassen.“
Die Blauen also immer noch zu grün hinter den Ohren? Am Sonntag, dem bereits elften Spieltag, rächte sich der fehlende Killerinstinkt auf eine Weise, die doppelt weh tut, da ein tabellarischer Quantensprung möglich gewesen wäre. Hätten die Löwen das 1:0 durch Joel Zwarts gehalten oder durch Vrenezi noch den 2:1-Siegtreffer folgen lassen – der Lohn wäre Platz sechs gewesen. So, durch den verpassten Sieg, ging’s runter auf 14. Noch schmerzhafter wird das Ganze, wenn man bedenkt, wo die Löwen stehen könnten, wenn die Spiele bereits in der 75. Minute abgepfiffen würden – auf Rang drei, in Schlagdistanz zu den Spitzenteams Dresden und Ulm.
Woran es liegt, dass das Teamgebilde so zerbrechlich wirkt? Zum einen sicher am Radikalumbau des Kaders, der Führungskräfte gekostet hat (Deichmann, Morgalla, Lex). Konzentrationsmängel hinten wie vorne spielen ebenfalls eine Rolle. Frei von Schuld ist aber auch der Trainer nicht. Jacobacci schafft es zu selten, sein Team durch personelle oder taktische Wechsel zu stärken. Eher ist das Gegenteil der Fall. Marlon Frey, oft der erste Einwechselspieler, ist aktuell nicht in der Lage, für Ordnung und Stabilität zu sorgen. Niklas Tarnat, der am Sonntag zur Pause runter musste, hatte den Laden besser im Griff. Ihn vor einer Roten Karte bewahren zu wollen, war ein hehrer Ansatz, aber gesperrt ist er jetzt auch so: fünfte Gelbe Karte. Starke, der gerade eine Rotsperre abgesessen hat, hätte dem Mittelfeld gutgetan, vielleicht auch schon vom Anpfiff an – als bessere Alternative zum blassen Behelfszehner Sulejmani.
Am Samstag, im Heimspiel gegen Freiburg II (14 Uhr), ist dafür einer gesetzt, der schon in Münster alles für einen Dreier getan hatte: Torwart-Entdeckung David Richter. Marco Hiller, die nominelle Nummer 1, fällt mit einer „Blessur am Knie“ aus (Details nennt der Verein nicht). Richter, sein Vertreter, wähnt das Team trotz des Hangs zu Rückschlägen auf einem guten Weg. Zuerst sprach er am Sonntag von einer „gefühlten Niederlage“. Später sagte er: „Man darf nicht unzufrieden sein. Einen Punkt hier – den nehmen wir gerne mit.“ ULI KELLNER