München – Mit müden Augen sitzt Joel Abu Hanna in Warschau vor dem Laptop. Seit seiner Zeit beim Club Legia hat er noch eine Wohnung in Polen. Der 25-Jährige ist ein in Deutschland geborener israelischer Nationalspieler, der im Heimatland seines Vaters bei Maccabi Netanya unter Vertrag steht. In Tel Aviv bekam er die Terrorangriffe der Hamas am 7. Oktober hautnah mit.
Wie geht es Ihnen?
Meine Frau und mir geht es gut – auch wenn uns die Situation weiter beschäftigt. Mein Vater und meine Verwandten leben ganz im Norden an der libanesischen Grenze. Da weiß man auch nicht, ob noch was passieren wird.
Wie haben Sie den Angriff erlebt?
Wir hätten ein Auswärtsspiel gehabt. Ich bin morgens gegen 7.20 Uhr aufgewacht, habe Nachrichten gelesen und sagte zu meiner Frau ‚Im Süden ist etwas passiert.’ Ich hatte den Satz noch nicht ausgesprochen, da ging auch schon der Raketenalarm los. In Israel ist es so, dass man in vielen Häusern Bunker hat. Wir sind dann runter in den Bunker, haben die Türe geschlossen und gewartet, bis es vorbei ist. Dann kamen weitere Nachrichten auf, in der Whatsapp-Gruppe unserer Mannschaft wurde geschrieben, was gerade passiert. Und man bekam natürlich auch Videos geschickt.
Wie gingen Sie damit um?
Im ersten Moment ist man ein bisschen überfordert, weil man gar nicht weiß, wie man das alles einordnen soll. An Raketenangriffe war man ja schon gewohnt, aber mit so einem Terrorangriff und Grenzübertritt der Hamas hat niemand gerechnet.
Wie ging es weiter?
Der Verein hat sofort Hilfe angeboten. Uns wurde gesagt, dass wir den Tag über zuhause bleiben sollen. Der ganze Spieltag wurde abgesagt. In den Abendstunden wurde der Raketenalarm im Vergleich zum Tag deutlich verstärkt. Du sitzt im Bunker und denkst, gleich schlägt es neben dir ein. Der Verein hat dann gesagt, wenn es vorbei ist, packt eure nötigsten Sachen und kommt nach Netanya, wo es noch ruhig war.
Sie sind in Deutschland geboren, arabischer Christ und Israeli.
Genau. Ich bin Israeli, habe aber fast mein ganzes Leben in Deutschland verbracht. Alle ausländischen Mitspieler sind weggeflogen. Der Verein hat zu mir gesagt: ,Wir haben die Augen deiner Frau gesehen – wenn ihr die Möglichkeit habt, das Land zu verlassen, dann macht das.’ Dann kam die Situation mit dem Auswärtigen Amt.
Erzählen Sie.
Ich habe Mitspieler aus Serbien und Bulgarien, die konnten schon zwei Tage nach dem Angriff nach Hause fliegen. Das Amt hat uns dann gesagt, wir können nach Jordanien ausreisen und von dort dann nach Deutschland weiter. Da haben wir es bevorzugt, erst mal weiter in Israel zu bleiben. Es war sehr schwer, einen Flug zu buchen. Um fünf Uhr morgens hatte ich Glück. Es ist aber nichts im Vergleich zu dem, was andere erlebt haben.
Am 13. Oktober haben Sie Israel verlassen. Was haben die Bilder des Terrors mit Ihnen gemacht?
Dieser Moment, in dem man im Bunker sitzt und weiß, dass bei anderen noch viel Schlimmeres passiert, ist beunruhigend. Ich hatte auch persönlich Kontakt zu Menschen, die in Bunkern saßen, in denen die Hamas versucht hatte, einzudringen.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn sie Bilder – auch aus Deutschland – sehen, wie Menschen die Hamas feiern?
Was aktuell, auch in Europa, passiert, ist besorgniserregend. Die Hamas ist eine Terrororganisation, nichts anderes. Ich frage mich, ob es in der Welt, in der wir jetzt leben, überhaupt noch Menschlichkeit gibt. Ich halte mich in meinem Leben an ein großes Prinzip: Sei vor allem ein guter Mensch. Ich weiß, dass diese Zeiten außergewöhnlich sind, aber wir sollten sie nicht noch schlimmer machen, indem wir noch mehr Spannungen erzeugen.
Wie geht es für Sie und Ihre Mitspieler jetzt weiter?
Ich bin im engen Austausch mit dem Trainer und unserem Sportdirektor Almog Cohen. Gleichzeitig prüft mein Berater, bei welchem Verein in Deutschland ich mich fit halten kann.
Was wünschen Sie sich?
Ich glaube jeder Mensch strebt danach, seine Kinder in Frieden aufwachsen zu sehen. Egal wo man her kommt – das ist das einzig Wichtige, wonach man im Leben streben sollte.
Interview: Johannes Ohr