Frankfurt – Der Hustenanfall kam ganz plötzlich. Gerade hatte sich Lena Oberdorf vor der Glasfront des Melia Frankfurt City aufgestellt und die erste Frage gehört, als die junge Führungskraft der deutschen Fußballerinnen sich dermaßen verschluckte, dass darin größtmögliche Symbolwirkung steckte: Die überraschenden öffentlichen Auftritte von Martina Voss-Tecklenburg verursachen bei den DFB-Frauen bei ihrem Neuanfang unter Horst Hrubesch für die Nations-League-Spiele gegen Wales in Sinsheim (Freitag 17.45 Uhr/ARD) und gegen Island in Reykjavik (31. Oktober/ 20 Uhr/ zdfsport.de) eine gewaltige Verstimmung.
„Es gibt mir ein paar Fragezeichen natürlich. Ich hätte mir da durchaus was anderes gewünscht. Dass man sagt: Okay, wir klären erst mal, was bei der WM passiert ist – und danach in den Erholungsurlaub. Nichtsdestotrotz ist es jetzt so passiert“, sagte die 21-Jährige. Das Mienenspiel der Mittelfeldspielerin vom VfL Wolfsburg vor dem Frankfurter Messeturm zu allen ungeklärten Zukunftsfragen der ranghohen DFB-Angestellten sprach Bände: Das Team hat größtmögliche Distanz zu der eigenwilligen Bundestrainerin entwickelt. Hinter den Kulissen wird vermutlich mit ihrem Anwalt Christoph Schickhardt die Auflösung des bis 2025 laufenden Vertrags verhandelt, wobei die Partei auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf schlecht aussehen ließ, der ja Kenntnis von den Aktivitäten im Erholungsurlaub gehabt haben muss.
Die Spielerinnen wollten nach dem verpatzten Nations-League-Auftakt gegen Dänemark (0:2) und dem überzeugenden zweiten Auftritt gegen Island (4:0) auf dem Weg zur angestrebten Olympia-Qualifikation die Causa „MVT“ eigentlich loswerden – nun taucht sie vor den ersten Spielen unter Übergangslösung Hrubesch wieder auf. „Das ist nicht mein Thema“, erklärte der 72-Jährige schmallippig. Angeblich betrachtet er die Vorkommnisse nicht als Störfeuer. Intern ist aber von Knüppeln zwischen den Beinen die Rede.
Kontakt zu Voss-Tecklenburg, der Hrubesch zum Jahresende 2018 eine intakte Gemeinschaft für die WM 2019 übergab, hat auch der Harmoniemensch vom Hamburger SV nicht mehr: „Britta Carlson ist auch da, die die Spiele vorher gemacht hat. Wie das jetzt geregelt ist, das muss der DFB dann entscheiden. Das ist nicht mein Bier. Ich hoffe, dass es letztendlich vier Spiele werden.“ Der Notretter möchte auch das entscheidende Rückspiel gegen Dänemark in Rostock (1. Dezember) verantworten, um im Optimalfall im Februar 2024 als Gruppensieger das Endturnier um zwei freie Olympia-Tickets zu spielen.
Für Voss-Tecklenburg ist das alles inzwischen weit weg: Die 55-Jährige hatte mit Billigung ihres Arbeitgebers beim „Forum Intelligentes Bauen“ in Bremen über „Teambuilding und Coaching aus der Welt des Sports“ gesprochen, dann beim Bayerischen Zahnärztetag in München über „Change Management im Frauenfußball“. Arbeitsrechtlich ist gegen solche gut dotierten Vorträge nichts einzuwenden, doch es bleibt die moralische Seite.
Dass die nach der WM zunächst krankgeschriebene Cheftrainerin zuerst auf solchen Bühnen spricht, hat mehrere Nationalspielerinnen fassungslos gemacht. Wer nach einer „mentalen und körperlichen Erschöpfung“ (Ehemann Hermann Tecklenburg) sofort wieder solches Rampenlicht sucht, sollte eigentlich die Chuzpe aufbringen, sich mit Akteuren auszusprechen, die viereinhalb Jahre mit ihr durch Höhen und Tiefen gegangen sind. Dass sich Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag zum Besuch auf dem DFB-Campus bei einer Trainingseinheit angekündigt hat, empfindet Hrubesch als „klare Wertschätzung“, denn: „Er ist ja nicht das erste Mal da. Wir werden das genießen.“
Ihm geht’s die nächsten Tage darum, eine Spielidee zu übermitteln, die dem Team wieder Halt vermittelt. Weil der Frauenfußball „wesentlich schneller, agiler“ geworden sei, will Hrubesch „ein höheres Tempo“ sehen. Der zu langsame Spielaufbau soll der Vergangenheit angehören, lange Bälle sind beim früheren Kopfball-Ungeheuer nicht verboten. Gegen Wales und Island solle man „voll auf Tore spielen“. Losung: Hustern darf man, stolpern nicht. FRANK HELLMANN