Nico Hülkenberg hat jede Motorsport-Kategorie gewonnen, an der er teilnahm – bis er in die Formel 1 kam. Vor seinem 200. Rennen am Sonntag in Mexiko spricht er über verpasste Chancen, über das Geheimnis einer derart langen Karriere und darüber, was die Zukunft für den 36-Jährigen noch bringen kann.
Herr Hülkenberg, wissen Sie eigentlich, was Alain Prost, Nigel Mansell und Niki Lauda ab kommendem Sonntag gemeinsam haben?
Die drei Jungs? Ab Sonntag?
Alle drei sind dann seltener in der Formel 1 gestartet als Nico Hülkenberg. Prosts 199 Rennen knacken Sie in Mexiko, Lauda und Mansell haben Sie schon überholt.
Ach, echt? Krass. Das hätte ich nicht gedacht.
Solche historischen Einordnungen sind Ihnen offensichtlich gar nicht so wichtig?
Es ist natürlich nicht ganz fair, weil es früher weniger Rennen pro Saison gab. Aber nichtsdestotrotz ist das doch eine recht anschauliche Leistung. Für mich bedeuten 200 Rennen einfach, dass ich es bis dato also gar nicht so schlecht gemacht habe. (lacht)
Wie bleibt man denn so lange dabei? Die meisten Karrieren enden ja eher unfreiwillig und deutlich vor der 200.
Das einzige Rezept ist Performance. Die Formel 1 ist ein extrem leistungsorientiertes Business, nicht immer, aber meistens werden danach die Sitze vergeben. Und ich glaube, dass ich in meiner Karriere oft überzeugende Argumente auf der Strecke geliefert habe.
Geht so etwas ein wenig unter im Land von Michael Schumacher und Sebastian Vettel?
Ja klar. Wir sind in Deutschland ein bisschen erfolgsverwöhnt. Mit Michael, mit Sebastian, mit Mercedes und Nico Rosberg – da ist einer, der lange dabei ist, aber eher im Mittelfeld rumschwimmt, nicht das große Thema. Hinten ist immer weniger Musik, aber ich habe damit kein Problem.
Ihre Karriere ist ja sowieso ein bisschen erklärungsbedürftig: Auf dem Weg durch die Nachwuchs-Serien haben Sie überall Titel gewonnen, es ohne Hilfe von außen in die Formel 1 geschafft. Dort werden Sie bis heute immer mal wieder zu den besten Fahrern gezählt – und durften trotzdem nie eines der besten Autos fahren. Ist die Formel 1 einfach unfair?
Es geht in der Formel 1 eben viel um Timing, und bei mir hat es einfach nie geklappt mit einem Top-Team. Ich glaube, es gibt in jeder Karriere gewisse Zeitfenster, in denen die Dinge passieren müssen. Bei mir ist leider immer irgendwas dazwischengekommen, aber ich habe trotzdem noch eine gute, lange Karriere daraus basteln können.
Wie war das denn damals: Sie waren im Nachwuchs gewohnt, regelmäßig zu gewinnen – aber in der Formel 1 hängt dann plötzlich alles vom Auto ab. Muss man sich da als Rennfahrer neu kalibrieren?
Ja, es ist wirklich so. Sportlich war ich sehr erfolgreich in den Einheitsserien, in denen alle das gleiche Material hatten. Dann kam ich in die Formel 1 und dachte: Ich kann hier auch Berge versetzen. Das war dann aber nicht so. (lacht) Es war trotzdem gut, ich habe ja als Rookie gute Resultate eingefahren. Aber es ist schon so eine Art Reality-Check: Man ist sehr abhängig von seinem Arbeitsgerät.
Und wie nah waren Sie wirklich dran? 2013 an Ferrari und 2020 an Red Bull.
2020 war es nicht wirklich nah, das war sehr lose und hat sich für mich auch so angefühlt. 2013 war ich viel, viel enger dran – knapp daneben ist aber leider auch vorbei. Am Ende haben sie sich leider anders entschieden.
Mit Teams wie Force India, Renault und nun Haas ist der Weg zum Podest deutlich weiter, und bis heute hat es nie geklappt.
Wenn man für die Mittelfeldteams fährt, dann hat man eben nur eine Handvoll Möglichkeiten, die man am Schopfe packen muss. Und die paar Möglichkeiten, die ich hatte, konnten wir bisher leider nicht verwandeln.
Nervt dieses Thema sehr? Und bleibt dieser Gedanke allgegenwärtig: Wenn ich in dem anderen Auto säße, würde ich jetzt gewinnen?
Wenn man das denken würde, dann wäre man dauernd schlecht drauf, deshalb mache ich das lieber nicht. Man muss das Beste aus dem Material machen, das man hat. Ich habe seit meinem Comeback einfach sehr viel Freude, ich erlebe das Ganze bewusster, genieße dieses Leben als Formel-1-Fahrer mehr. Es fühlt sich gut an, auch wenn wir sportlich natürlich gerne besser dastehen würden.
Die Formel 1 könnte für den deutschen Markt mal wieder große Geschichten brauchen. Wissen Sie, was eine richtig gute wäre: Nico Hülkenberg bekommt im Herbst seiner Karriere doch noch mal ein starkes Auto, und dieses Auto ist ein Audi. Ab 2026 wird es dieses Team ja geben.
Das wäre natürlich eine schöne, runde Story. Das kann ich mir grundsätzlich auch vorstellen, aber bis dahin sind es noch ein paar Jahre. Da kann noch einiges auf dem Fahrermarkt passieren, auch Audi muss ja erst mal kommen, und auch sie werden ihre Zeit brauchen. Kein Hersteller kommt in die Formel 1 und gewinnt direkt. Und erst mal muss sowieso ich selbst hart arbeiten.
Wie lange wollen Sie noch im Cockpit arbeiten. Irgendwo muss es ja doch eine natürliche Altersgrenze geben. Hätten Sie Lust, die auszuloten?
(lacht): Stand heute: ja. Wir haben ja gerade das Beispiel Fernando Alonso, der mit 42 Jahren immer noch sehr konkurrenzfähig ist. So lange man nicht von der jungen Generation abgehängt wird, so lange ist man im Geschäft. Motorsport ist körperlich belastend, aber nicht auf eine Art wie etwa Tennis oder Fußball, wo es zum Beispiel sehr auf die Gelenke geht.
Interview: Thomas Weitekamp