Istanbul – Joshua Kimmich musste selbst lachen, als die Frage kam – und das ehrt ihn gewissermaßen. Denn der Kapitän des FC Bayern wollte sich nach dem 3:1 (1:1) bei Galatasaray Istanbul gar nicht hinter Ausreden verstecken. Natürlich waren die zweiten 90 Minuten nach überstandener Grippe auch für ihn persönlich kein Zuckerschlecken gewesen, die unterdurchschnittliche Leistung in den ersten 45 Minuten aber sah Kimmich nicht in seinem Gesundheitszustand begründet. „Das lag jetzt nicht an irgendeiner Erkältung“, sagte er. Sondern daran, dass die gesamte Hintermannschaft – und damit auch er selbst – im Hexenkessel namens Rams Park absolut nicht ins Spiel gekommen war.
16 Schüsse hatte das Team von Thomas Tuchel vor dem Seitenwechsel zugelassen, so viele wie noch nie seit Beginn der Datenerfassung in der europäischen Königsklasse vor 20 Jahren. Und obwohl am Ende die Freude über das Aufbäumen überwog, das zum dritten Sieg im dritten Gruppenspiel geführt hatte, sagte Kimmich: „Wir müssen uns mit beiden Aspekten beschäftigen.“ Dem Fakt, dass der Rekordmeister im Vergleich zur Vorsaison womöglich größere Stehauf-Qualitäten hat, steht jener entgegen, dass die starke Offensive die wankelmütige Defensive regelmäßig rettet. Und so stellte sich auch in Istanbul die berechtigte Frage, ob es dieses Team mit größeren Gegnern aufnehmen kann.
Tuchel winkte freilich ab. „Wir brauchen erst mal eine Lösung für das nächste Bundesliga-Spiel“, sagte der 50-Jährige, sprich: Darmstadt am Samstag. Sogar da aber dürfte es bestraft werden, wenn man „gegen den Ball keinen Zugriff“ findet, wie Kimmich das Problem in Istanbul nannte. Die Doppel-Sechs um ihn und den größtenteils überforderten Konrad Laimer setzte keine Akzente, der Ball ging immer wieder nach hinten. Also dahin, wo Matthijs de Ligt und Minjae Kim stets unter Druck waren und nicht immer die besten Lösungen anboten. Andere Mannschaften hätten das deutlich mehr ausgenutzt – und auch in Istanbul hätte es nach 45 Minuten 3:1 für Gala stehen können.
Nicht nur Jan-Christian Dreesen passte es daher gut in den Kram, dass man auf das kommende Programm Darmstadt und Saarbrücken im Pokal „hoffnungsvoll“ blicken kann. „Lassen wir uns einen kleinen Scherz machen. Ich bin sicher, dass die Kreativität des Trainers da wieder Früchte tragen wird“, sagte der CEO. Die Anspielung auf den dünnen Kader nahm der Trainer emotionslos zur Kenntnis, er weiß aber selbst, dass bis zum 4. November auch mit der aktuellen Personaldecke Lösungen her müssen. Das Topspiel gegen Dortmund wird der nächste Gradmesser, bis dahin wird man alles geben, um auch Serge Gnabry, Raphael Guerreiro und womöglich sogar Leon Goretzka wieder an Bord zu haben. Außerdem sind grippale Infekte und Erkältungen in den kommenden eineinhalb Wochen: streng verboten. hlr