Istanbul – Mit der Rolle des gefragtesten Spielers hat Sven Ulreich sich in den vergangenen Wochen schon anfreunden können. Und so war es für den Torhüter des FC Bayern auch nichts Besonderes, im Rams Park von Istanbul wieder als Erster zum Interview zu erscheinen. Als der Rest der Mannschaft nach dem harten Stück Arbeit beim 3:1 (1:1) bei Galatasaray gemütlich duschte, stand Ulreich schon vor den Kameras. Abgekämpft sah er aus, sogar ein paar Grashalme klebten noch an seinen Beinen. Das Bild nach dem Abpfiff passte also zum Auftritt auf dem Platz, wo es ohne den Keeper wohl – mal wieder – anders ausgegangen wäre.
„Überragend“ war das Wort, das Vordermann Matthijs de Ligt für Ulreich fand, besser hätte man es nicht umschreiben können. Denn nicht nur eine Parade, die der 35-Jährige vor der ohrenbetäubenden Kulisse gezeigt hatte, verdiente das Prädikat Weltklasse. In seinem vorerst wohl letzten Spiel nach einem Dreivierteljahr als Vertreter von Manuel Neuer erinnerte Ulreich phasenweise an die Nummer eins, die am Samstag in Darmstadt ihr Comeback geben soll. Bei einem Seitfallzieher von Kerem Aktürkoglu zeigte er einen starken Reflex, vor der Halbzeit entschärfte er eine brenzlige Situation mutig weit vor dem Tor. Dank des kühlen Kopfes von Ulreich blieben die Bayern trotz einer gruseligen ersten Hälfte im Spiel. Beim „frechen“ Elfmeter von Mauro Icardi war er machtlos – sagte über den Lupfer in die Mitte des Tores aber schmunzelnd: „Ich habe mir noch überlegt, stehen zu bleiben.“ Es wäre das I-Tüpfelchen bei seinem auch so gelungenen Abend gewesen.
Die Reise nach Istanbul wird aber auch so in der Rückschau auf derselben Liste auftauchen wie zuletzt die Spiele in Kopenhagen und Mainz. Auch da war es Ulreich, dem am Ende der Dank gebührte. „Er hat uns schon sehr viele Punkte festgehalten“, sagte Joshua Kimmich und nannte das Auftreten des selbstlosen Teamplayers „sehr, sehr wichtig für uns als Mannschaft“. Auch de Ligt lobte den „immer konzentrierten und professionellen“ Schlussmann, der Blick ging dabei auch über den Platz hinaus. Denn trotz der Leistungen der Vorwochen blieb Ulreich bei seinem Standard-Satz: „Ich werde mich natürlich auf die Bank setzen. Ich kenne meine Rolle beim FC Bayern.“
Diese Selbstlosigkeit ist nicht neu – und sie ist Ulreich nicht hoch genug anzurechnen. Immerhin gab er in Istanbul zu, dass es „schade“ sei, dass die Zeit in der Startelf ab sofort vorbei ist: „Man freut sich schon über jedes Spiel, was man hat.“
Im Hexenkessel in Istanbul hatte ihn die Atmosphäre sogar regelrecht angestachelt: „Wenn alle gegen einen sind, ist es immer heiß.“ Allein an dem Fakt, dass Ulreich trotzdem cooler blieb als seine Mannschaftskollegen, konnte man sehen, dass auch er als Nummer eins gewachsen ist. Aktuell hätte er das Format zum Stammkeeper. Aber das spricht man beim FC Bayern lieber nicht allzu laut aus.
Die Augen richten sich jetzt wieder auf Neuer. Nicht nur UIreich freut sich für den Kollegen, „weil es ein langer Weg war“. Auch Kimmich, der die Kapitänsbinde wieder abgeben muss, gönnt ihm das Comeback „aus ganzem Herzen“. Jeder habe „gesehen, wie er jeden Tag gearbeitet hat, bei sich geblieben ist“. Knapp elf Monate Leidenszeit sollen am Samstag um 15.30 Uhr ein Ende haben.
Auch Ulreichs Alltag ist dann wieder ein anderer. Und es ist nur logisch, dass er sich die neue alte Situation erst mal ansehen will. Gespräche über eine Verlängerung des 2024 auslaufenden Vertrags hat es noch nicht gegeben, sie sollen aber „in den nächsten Wochen und Monaten“ folgen. Bis zum Juni, sagte Ulreich schmunzelnd, „fließt noch viel Wasser die Isar runter“. Und er hat noch genug Zeit zum Nachdenken. Die Zeit als gefragtester Mann ist vorbei.