Südafrika im Freudentaummel

von Redaktion

RUGBY „Springboks“ verteidigen WM-Titel in einem dramatischen Finale gegen Neuseeland

Paris – Edelfan Roger Federer jubelte im Stade de France mit grün-goldenem Schal um den Hals, doch Südafrikas Symbolfigur Siya Kolisi hatte nach dem packenden WM-Finale keinen Blick für die Ehrentribüne. Stattdessen dachte der aus ärmsten Verhältnissen stammende Kapitän des nun viermaligen Rugby-Weltmeisters an die vielen Dramen in seiner Heimat.

„Unser Land bringt uns zusammen“, sagte der 32-Jährige. „Es gibt nicht viele Dinge, die momentan in unserem Land richtig laufen. Wir haben die Möglichkeit, das zu tun, was wir lieben und die Menschen damit in ihrem Leben zu inspirieren.“ Das am Ende dramatische 12:11 gegen Neuseeland soll dem ganzen Land einen Schub in die richtige Richtung geben. Wie es vor vier Jahren schon einmal gelang, als Kolisi die Springboks als erster schwarzer Kapitän zum Titel geführt hatte. Dass dem Mann mit der Nummer sechs das am verregneten Samstagabend in Paris erneut gelang, sicherte auch ihm einen Platz in den Geschichtsbüchern. Zwei Triumphe als Kapitän. Das war zuvor nur Neuseelands Ikone Richie McCaw gelungen.

Wie schon im Viertel- und im Halbfinale siegten die Springboks mit dem geringstmöglichen Vorsprung. „Wir mögen Drama“, sagte der zum Mann des Spiels gewählte Pieter-Steph du Toit.

Dass das Finale von Paris so packend wurde, lag am unbeugsamen Willen der All Blacks. Schon nach zwei Minuten kassierte das Team eine zehnminütige Zeitstrafe gegen Shannon Frizzell, nach nicht einmal einer halben Stunde sah Kapitän Sam Cane die Rote Karte – das war in einem Finale noch nie passiert. Auch vier Gelbe Karten sind historisch unerreicht. Er werde damit „leider für immer leben müssen“, erklärte Cane kleinlaut. Der 31-Jährige ist seit Samstag ein tragischer Held der All Blacks: Vor dem Turnier war öffentlich an ihm gezweifelt worden, er reagierte mit Leistung, führte das Team ins Endspiel – und flog dann wegen seines zu hohen Tackles gegen Jesse Kriel vom Platz.

In Unterzahl gegen die physisch brutale Mannschaft Südafrikas zu bestehen, war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Doch Neuseeland kämpfte sich zurück, der Titelverteidiger taumelte. Zweimal – eine Erhöhung und ein Straftritt – vergaben die All Blacks die Chance auf Punkte und damit auf den Webb-Ellis-Pokal.

Den stemmte am Ende Kolisi in den Nachthimmel der französischen Hauptstadt, Südafrika ist nun alleiniger Rekord-Weltmeister. Heldenstatus in der Heimat hat Kolisi längst, vielleicht gerade, weil er nicht immer das perfekte Vorbild war. Kolisi wuchs im Township Zwide in Port Elizabeth auf, wurde schon als Junge in Drogenhandel verwickelt, schnüffelte Benzin und musste mit ansehen, wie ein Mann zu Tode gesteinigt wird.

Dann die Wende in seinem Leben: Scouts hatten den 12 Jahre alten Kolisi auf einem staubigen Feld entdeckt. Eine für ihr gutes Rugby-Programm bekannte Highschool nahm ihn auf. Kolisi ging seinen Weg, doch die Dämonen der Vergangenheit ließen ihn lange nicht los. Er trank, ging in Stripclubs, wankte orientierungslos durchs Leben. „Ich bin überhaupt kein Heiliger. Ich bin ein Sündiger, der jeden Tag versucht, das Beste aus sich herauszuholen“, schrieb Kolisi.

Mittlerweile hat er seine Bestimmung gefunden. Er nutzt seine Bekanntheit bewusst, weist häufig auf die Lage in der Heimat hin. „Würde ich nicht 100 Prozent auf dem Feld geben, wäre das wie Betrug an all meinen Landsleuten“, sagte Kolisi.  dpa, sid

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