„In der Türkei sind sie mit Geburt Fan“

von Redaktion

Ex-Basketballer Mithat Demirel über Galatasaray, Sport am Bosporus und das „Hayirlisi“

München – Er lernte die Türkei immerhin sieben Jahre von innen kennen. 2006/07 spielte Mithat Demirel dabei auch für die Basketballer von Galatasaray Istanbul. Dabei machte der 45-jährige Ex-Nationalspieler aus Berlin viele spezielle Erfahrungen, wie er im Interview erzählte.

Herr Demirel, Sie wechselten 2006 von Besiktas zu Galatasaray Istanbul. Von einem Stadtrivalen zum anderen. Klingt nach einem riskanten Schritt…

Na ja, im Fußball würde das sicherlich mehr Wind machen als im Basketball. Da ist das schon ok. Bei mir war das ohnehin ein bisschen anders. Ich war der Deutsche, der Berliner aus der deutschen Nationalmannschaft, da hat man das anders gesehen.

Sie sind in einen Club gekommen, der immer massiv vom Fußball dominiert war. Hat der Fußball auch Ihr Leben mitbestimmt?

Wir haben ja auf dem gleichen Gelände trainiert wie die Fußballer, alleine deshalb hattest du viele Überschneidungen. Und man hat schon auch einiges zusammen gemacht. Hat gegenseitig Spiele besucht. Wovon man vorher gar keine Vorstellung hat, ist aber: Galatasaray ist ein Riesenclub, und es dreht sich alles um den Fußball. Das konnte auch dazu führen, dass auch Basketballer kein Geld kriegen, wenn es bei den Fußballern nicht lief.

Das dürfte Ihnen erspart geblieben sein. Die Fußballer hatten eigentlich eine ganz gute Phase. UEFA-Cup-Sieger 2000. 2006 in der Champions League, in der man unter anderem Liverpool bezwang.

Das war eine gute Mannschaft, angeführt von Hakan Sükür. Aber auch die haben damals sieben Monate lang unregelmäßig Geld bekommen. Bis sie dann am letzten Spieltag doch noch Meister geworden sind. Dann haben Sie die ausstehenden Gelder alle auf einen Schlag ausgezahlt bekommen. Inklusive der Prämien. Das hat sich schon auch auf uns ausgewirkt. Deswegen sind sogar unsere Amerikaner große Fußball-Fans geworden.

Also Vereinspolitik?

Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Da kann keiner so genau dahinter schauen, wie das läuft. Klar ist allerdings: Die Präsidenten haben enorm viel Macht.

Woher kommt das Geld? Von privaten Sponsoren oder zahlt der Staat mit?

Man sagt zumindest, dass es privat ist. Aber ok, ich habe später für die Dogus-Gruppe gearbeitet, die ja naben Darüssafaka auch Fenerbahce direkt mit unterstützt. Dogus ist der größte Steuerzahler der Türkei. Da muss man kein studierter Ökonom sein um zu verstehen, wie ein Sponsoring zustande kommen kann. Dazu kommen andere Dinge in der Stadt. Besiktas hat zum Beispiel ein wunderschönes Grundstück am Wasser bekommen. Dann kommen andere und wollen auch ihren Teil. Fenerbahce und auch Galatasaray haben dann nachgezogen und ihre eigenen Stadien bekommen.

Es dürfe eine Rolle spielen, dass eine enorme Masse an Menschen hinter den Clubs steht…

Ohja, in der Türkei sind sie im Grunde schon mit der Geburt Fan. Und im Grunde teilen sich alle auf die Großclubs in Istanbul auf. Ich kenne keine Zahlen, aber es würde mich nicht wundern, wenn diese Vereine in puncte Fans zu den größten der Welt gehören. Das ist dann wirklich faszinierend. Wo auch immer du mit einem Club wie Galatasaray spielst, es sind immer viele Fans da. Und nicht nur in der Türkei. In ganz Europa ist das so. Ich vermute mal, das wird man am Mittwoch beim FC Bayern auch sehen. Und es ist ein totaler Enthusiasmus, bis hin zur Verehrung. Das war für mich ja alles total neu. Ich kannte die Türkei vorher nur aus dem Urlaub.

Spürt man diese Zuneigung auch im Alltag?

Klar, das geht hin bis zur Polizeikontrolle, bei der du durchgewunken wirst, weil du Spieler bist. Wobei es allerdings von Vorteil ist, ein Trikot dabei zu haben. Die wollen dann schon gerne ein Trikot.

Nur ungünstig, wenn der Polizist ein Besiktas-Fan ist, oder?

Das mag in Einzelfällen so sein, es gibt schon gewisse Reizfiguren. Aber insgesamt ist es dort eine Verehrung für den Sport. Das geht dann über die Vereinsgrenzen hinweg. Trotz aller Rivalität.

Das klingt praktisch…

Manchmal ist das so, ja (lacht). Das gilt zum Beispiel für die Kontrollen am Flughafen. Und dann wird man da komplett durchgeschleust. Das geht bis heute so. Die Türkei ist in vielen Dingen, sagen wir mal, flexibel.

Muss man sich darauf auch als Manager einlassen?

Ganz klar. Das ist in der Praxis nicht immer einfach. Die Türkei ist in vielen Dingen noch komplizierter und noch analoger als Deutschland. In Deutschland kannst du zumindest irgendwo nachlesen, wie etwas funktioniert. In der Türkei steht das sicher auch irgendwo. Die Menschen sind vor allem sehr hilfsbereit und an Lösungen orientiert. Es gibt dieses Wort „Hayirlisi“

Das heißt so viel wie: „Es wird schon.“ Was irgendwie beruhigend ist. Ich habe das auch oft erlebt.

Ein Beispiel?

Ich bin 2006 mit meinem Auto dort gewesen, das natürlich ein deutsches Kennzeichen hatte. Nach geltendem Recht muss das Auto nach sechs Monaten aus dem Land raus. Man hat mir dann gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen, „wir machen das schon.“ Dann ging die Zeit so dahin, die sechs Monate kamen immer näher. Am Ende hat man das Auto zur Mittagspause auf den Hof des Zollamtes gestellt. Danach wurde es praktisch wieder eingeführt (lacht).

Inzwischen sind sie seit längerem wieder zurück in Berlin. Und was ist geblieben. Sind Sie Galatasaray-Fan?

Ich mochte Mehmet Scholl sehr gerne. Deswegen hatte ich damals eher eine gewisse Bayern-Nähe und verfolgte damals viele Spiele. Meine Zeit in der Türkei, insgesamt immerhin sieben Jahre als Spieler und Manager, war total interessant.

Interview: Patrick Reichelt

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