Joshua Kimmich ist der typisch deutsche Vorzeige-Profi: Als Bayern-Star verdient er zwar Millionen, protzt aber nicht mit seinem Vermögen. An freien Tagen regeneriert er zu Hause, anstatt das Münchner Nachtleben unsicher zu machen oder spontan durch die Welt zu jetten. Er hat ein stabiles Familienleben als Ehemann und Vater von bald vier Kindern. Führerschein-Entzug, Liebes-Chaos, Handgreiflichkeiten gegenüber Frauen? Gab es in der Vergangenheit bei Bayern-Spielern. Bei Kimmich nicht.
Auf dem Rasen steht der gebürtige Rottweiler für die oft geforderten deutschen Tugenden: Willensstärke, Kampfgeist, Ehrgeiz und Fleiß. Im Moment des Rückschlags ist er derjenige, der die Mitspieler pusht. Als Führungsspieler stellt er sich nicht nur nach Siegen den Fragen der Journalisten, sondern auch nach Niederlagen. Im Ausland wird Kimmich hochgeschätzt. Doch ausgerechnet in seiner Heimat Deutschland reißt die Kritik an ihm nicht ab. Vorwürfe der Ex-Fußballer: „Die Nebenleute wurden neben ihm zuletzt konstant schlechter“, sagte Lothar Matthäus im Juni. Ende Oktober bezeichnete Didi Hamann Kimmich als „wandelnde Verunsicherung“. Und nach dem Sieg in Dortmund ohne den gesperrten Kimmich machten Medien gar Umfragen, ob die Münchner es nicht gleich ohne ihn in der Startelf versuchen sollten… Ergebnis: Knapp 70 Prozent sagten „ja“.
Natürlich, man kann Kimmich für Fehler sachlich kritisieren. Wie gegen Darmstadt oder bei Galatasaray. Aber es fehlt die Objektivität. Denn es gehört auch zur Wahrheit, dass der Ersatz-Kapitän laut Statistik zu Europas besten Sechsern der Vorsaison zählt. Auch beim leidigen Ecken-Thema führt Kimmich die Bundesliga-Bestenliste an. Seit Beginn der Datenerfassung bereitete er die meisten Tore nach Ecken vor.
Wie für seine Vorgänger ist Kimmich auch für Trainer Thomas Tuchel „ein Schlüsselspieler“. Er sei ein Profi, der gerade in großen Partien darauf brenne, „den Unterschied zu machen“, sagt der 50-Jährige. Trotzdem scheint es seit der Corona-Pandemie gegenüber Kimmich keine Hemmschwelle mehr zu geben. An ihm mag das abprallen. Wie aber würde ein sensiblerer Spieler mit derartigem Bashing in Dauerschleife umgehen? Tuchel sprangen alle Bayern-Bosse nach seinem Zwist mit Matthäus und Hamann öffentlich zur Seite. Bei Kimmich wäre mehr Rückendeckung auch angebracht.
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