Frankfurt – Kaum zu glauben, aber wahr, wie schnell die Zeit vergeht: Vor genau einem Jahr, am Montag, dem 14. November 2022, begab sich die deutsche Fußball-Nationalmannschaft über den Oman Richtung Weltmeisterschaft in Katar. Und eigentlich noch weniger zu glauben, aber ebenfalls wahr: Es steht praktisch fest, dass die Fußball-Weltmeisterschaft 2034 in Saudi-Arabien ausgetragen wird. Erkennbare Gegenwehr vom Deutschen Fußball-Bund? Pustekuchen!
DFB-Präsident Bernd Neuendorf sitzt seit April im Fifa-Council, dem Spitzengremium des Weltverbandes, in dem jedes der 37 Mitglieder mit rund 250 000 Dollar pro Jahr vergütet wird. Ehe er dort anfing, hatte der 62-Jährige vom Fifa-Präsidenten Gianni Infantino unter anderem transparentere Entscheidungsfindungen eingefordert. Ein berechtigtes Anliegen, das Neuendorf mit weiteren europäischen Verbänden durchzusetzen hoffte.
Das Gegenteil ist passiert. Anfang Oktober veröffentlichte die Fifa an einem Mittwochabend nach einer Councilsitzung den Beschluss, dass die WM 2030 in sechs Ländern auf drei Kontinenten stattfinden wird sowie den Entscheid, dass eine WM 2034 in Ozeanien oder Asien stattfinden muss. Damit war die Tür für Saudi-Arabien 2034 sperrangelweit geöffnet.
Das auch von Neuendorfs Plazet gestützte, offenbar aus dem Hinterzimmer gesteuerte Verfahren kam für die Öffentlichkeit und selbst für gewöhnlich gut informierte Medien völlig überraschend. Unsere Zeitung wollte jetzt von Bernd Neuendorf wissen, wie er den Prozess, der dazu geführt hat, mit etwas Abstand im Rückblick beurteilt. Der DFB-Präsident ließ ausrichten, dazu wolle er sich öffentlich nicht äußern. Auch schriftlich eingereichten Fragen blieben unbeantwortet. Das gleiche gilt für Nachfragen zu den Entwicklungen in Katar und die Situation der Gastarbeiter dort. Der investigative Reporter Benjamin Best in diesem Oktober für eine ARD-Dokumentation nochmals nach Katar gereist. Der Eindruck vor Ort war, „dass kein Mensch mehr auf diese WM schaut“. Alle Stadien seien eingezäunt gewesen, „sie kamen mir vor wie Geisterstadien, die irgendwo in der Wüste stehen“. Es habe in der Hauptstadt Doha noch genau zwei sichtbare Hinweise auf die WM 2022 gegeben: eine überdimensionale Uhr eines Hauptsponsors und eine große Pappmaché mit dem Fifa-World-Cup-Logo.
Arbeitsmigranten, mit denen er gesprochen habe, hätten ihm ihr Leid geklagt: dass sie teilweise auf Geld warten, dass viele Firmen nach der WM zugemacht hätten und manche Migrant Workers ohne Arbeit in Katar gestrandet seien und dass „niemand mehr auf den Reformprozess schaut“. Er habe, so Best, „den Eindruck, dass die „katarische Regierung peu a peu wieder den Zustand herstellen könnte, wie er vor vielen Jahren schon war“.
Andreas Rettig, seit Mitte September Sportgeschäftsführer beim DFB, gehörte vor und während der WM in Katar zu den prominentesten Unterstützern der Initiative „Boykott Qatar 2022“. Unsere Zeitung wollte nun vom neuen DFB-Funktionär Rettig wissen, wie es aktuell um seine Haltung steht. Auch er blieb stumm.
Derweil hat Rechercheur Benjamin Best in Katars Hauptstadt Doha genauer hingeschaut, was mit einem ganz besonderen Stadion passiert ist. Das aus 974 Schiffscontainern errichtete „Stadium 974“ sollte ein Musterbeispiel für Nachhaltigkeit werden. Denn die Arena, so wurde es versprochen, würde nach der WM abgebaut, um in einem anderen Land, wo es benötigt würde, wieder aufgebaut zu werden. Tatsächlich steht das Stadion 974 am Hafen von Doha unweit des Hamad International Airports noch genauso da, wie es nach dem Achtelfinale Brasilien gegen Südkorea (4:1) verlassen wurde.
JAN-CHRISTIAN MÜLLER