Frankfurt/Main – Ilkay Gündogan zog sich seine schwarzen Handschuhe an und kickte ein paar Bälle mit Antonio Rüdiger. Besonnen, unaufgeregt. Vor der Partie gegen das Heimatland seiner Eltern begann der Kapitän der Nationalmannschaft am Donnerstag routiniert das Training. In politisch schwierigen Zeiten spielt der 33-Jährige im reifen Fußballer-Alter erstmals gegen die Türkei. „Wenn ich so darüber nachdenke, hat es jetzt ganz schön lange gedauert“, sagte er. „Es wird ein sehr besonderes Spiel für mich – gar keine Frage.“
Im ausverkauften Berliner Olympiastadion werden am Samstag (20.45 Uhr/RTL) zehntausende Fans der Türkei erwartet, es werde „emotional“, sagt der in Gelsenkirchen geborene Profi des FC Barcelona, der beweist, dass sich das schwarz-weiße deutsche Nationaltrikot und die tiefe Verbundenheit zum Land der eigenen Eltern nicht ausschließen. Auch weil seine DFB-Karriere nach dem 13. Mai 2018 anders hätte ausgehen können.
Im Gegensatz zu Mesut Özil hatte sich Gündogan nach dem Eklat-Foto mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan vor fünfeinhalb Jahren ausführlich erklärt. Kein Jahr später führte der heute 33-Jährige die DFB-Auswahl erstmals als Kapitän an, damals noch aushilfsweise. Bundestrainer Julian Nagelsmann übernahm im September ohne jeden Zweifel die Entscheidung von Hansi Flick, den Mittelfeldlenker dauerhaft zum Anführer zu bestimmen. Mit der Kapitänsbinde am Arm wird er die DFB-Auswahl am Samstag auf den Rasen führen.
„Ich versuche, jedes Jahr mindestens einmal in die Türkei zu reisen. Istanbul ist eine meiner absoluten Lieblingsstädte auf der Welt, und ich liebe das türkische Essen“, sagte Gündogan, der auf Vereinsebene alles gewonnen hat, in der Nationalmannschaft aber diese Leistung nicht bestätigte. „Meine Großeltern, Eltern und weitere Verwandte leben nach wie vor in der Türkei in Izmir, und ich habe natürlich auch viele Freunde dort.“
Im Atatürk-Stadion der riesigen türkischen Metropole hatte Gündogan im Juni Manchester City als Kapitän zum Triumph in der Champions League geführt. In der Arena jubelten etliche Familienmitglieder. Gegen eine türkische Mannschaft anzutreten ist aber eine Seltenheit, wenn auch kein Novum.
Anfeindungen deutscher Fans hatte Gündogan erleben müssen, auch lange nach dem Foto mit Erdogan. Wie die türkischen Anhänger am Samstagabend auf Ballkontakte des deutschen Kapitäns reagieren, ist schwierig vorherzusehen. Gündogan ist im Heimatland seiner Eltern sozial stark engagiert. In „schwierigen Momenten“ wie bei den Waldbränden 2021 oder dem Erdbeben dieses Jahr habe er „jeweils vor Ort mit Charity-Projekten unterstützt und ausgeholfen“, sagte der Mittelfeldspieler.
Die politische Dimension der Partie geht ohnehin über den Zwiespalt der in der Türkei oder Deutschland geborenen Fans hinaus. Am Vortag ist Erdogan zu Gast bei Bundeskanzler Olaf Scholz, der türkische Staatspräsident hatte zuletzt Israel im Gaza-Krieg „Staatsterror“ vorgeworfen und die Legitimität des Landes infrage gestellt. Am Spieltag wollen tausende Kurden für die von der Türkei verbotene Arbeiterpartei PKK und gegen Erdogan demonstrieren. Dass ein Besuch des Türkei-Spiels nicht auf Erdogans Agenda steht, hat der DFB mit Erleichterung zur Kenntnis genommen. dpa