Zwei Spieler, zwei Werdegänge

Gündogans Werk, Özils Drama

von Redaktion

GÜNTER KLEIN

Wenn die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in Berlin gegen die der Türkei spielt, erinnert man sich an das geschichtsträchtige Fotodokument: Die Kabine, Angela Merkel im Kanzlerinnen-Blazer, Mesut Özil, das Handtuch – und der Handschlag der Politik mit dem Sport, die Gratulation an den Fußball für seine integrative Kraft. Es ist ein Jammer, dass gesellschaftlich vieles von dieser Stimmung des Jahres 2010 verloren gegangen ist. Und es ist ein Jammer, wie die Deutschen und Mesut Özil, der einer ihrer größten Fußballer war, sich entfremdet haben. Das Bedauern wird nun wieder spürbar, weil die beiden Nationalteams erneut aufeinandertreffen, noch dazu in Berlin – und weil auch ein professionell gemachter Podcast das Leben und den Werdegang von Özil aufgreift: „SchwarzRotGold: Mesut Özil zu Gast bei Freunden“. Ein paar Folgen stehen noch aus, vielleicht wird Özil selbst erklären, warum er nun ein Tattoo der Grauen Wölfe auf der Brust trägt und sich komplett vereinnahmen lässt vom türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan.

Der Bruch in Mesut Özils Karriere war das Treffen mit Erdogan in London kurz vor der WM 2018. Auch Ilkay Gündogan tappte in diese Falle. Man muss sich auch daran erinnern: Letztes Testspiel vor der Abreise nach Russland, in Leverkusen gegen Saudi-Arabien, eine allgemein grottige Leistung der Deutschen – und Pfiffe des Publikums für Gündogan bei jedem Ballkontakt. In gewisser Weise traf ihn der Unmut stellvertretend für Mesut Özil, den Bundestrainer Joachim Löw in weiser Voraussicht für dieses Spiel gar nicht erst aufgestellt hatte. Gündogan konnte die sportlichen Erwartungen, die er als bei Manchester City gereifter Spieler geweckt hatte, beim WM-Turnier nicht annähernd erfüllen – und es hätte niemanden gewundert, wenn er danach wie Mesut Özil aus der Nationalmannschaft zurückgetreten wäre.

Gündogan ist geblieben und heute der zentrale Spieler des deutschen Teams. Und er wird es als Kapitän in die Partie mit der Türkei führen. Über die „Trikot-Affäre“ von vor fünfeinhalb Jahren wird eigentlich nicht mehr gesprochen. Gündogan hat die Krise um seine Person gemanagt und Vertrauen zurückgewonnen. Mesut Özil ist das nicht gelungen, bei ihm gab es wohl auch den Punkt, an dem er keinen Antrieb mehr hatte, es noch gelingen lassen zu wollen. Vielleicht auch, weil seine Lebenserfahrung war, dass er nur dann als Deutscher anerkannt wurde, wenn er sportlich lieferte. Als Kind wurden ihm in Probetrainings die Markusse und Thomasse vorgezogen, als Spieler war er der Sündenbock 2018. Dass er verletzt ist, kann man schon nachvollziehen.

Für Ilkay Gündogan freut man sich, für Mesut Özil kann man nur hoffen, dass wenigstens seine persönlichen Beziehungen zu Menschen, mit denen er einst die größten Erlebnisse teilte, intakt geblieben sind. Oder es wieder werden.

Guenter.Klein@ovb.net

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