Katar – ein Jahr danach

von Redaktion

Ein Blick ins Land der WM 2022: Ist es gerechter geworden, waren die Investitionen nachhaltig?

VON GÜNTER KLEIN

München – Katar ist wieder in den Medien. Diesmal aber nicht mit Fußball und Sportswashing, sondern etwas Größerem, was ja immer auch ein weiteres Standbein des Landes sein sollte: seine politische Rolle als diplomatische Plattform und Player im Nahen Osten. Gerade hat die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock den katarischen Emir Scheich Tamin bin Hamad Al-Thani getroffen, im saudischen Riad. Kann Katar etwas bewirken im Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas (die in Doha ein Büro unterhält), kann es vermitteln, um Geiseln aus Gaza herauszubekommen?

Elf Monate sind es, seit Scheich Al-Thani am katarischen Nationalfeiertag Weltmeister-Kapitän Lionel Messi bei der Siegerehrung im Lusail Stadium mit dem Umlegen des Traditionsgewands Bischt überrumpelte und final vereinnahmte. Genau ein Jahr ist es her, dass er die WM eröffnete. Die umstrittenste der Geschichte. Weil ihre Vorbereitung Tausende Menschenleben kostete. Weil es schlicht als Wahnsinn erachtet wurde, dass man in ein klitzekleines Land die Struktur für ein Weltereignis pflanzte. Und auch weil die klimatischen Bedingungen verlangten, dass alle kalendarischen Gewohnheiten aufgebrochen werden mussten. Folge: WM im Winter.

Und nun? Was ist 2023 übrig geblieben von 2022? Haben sich Katars Investitionen gelohnt? Entwickelt sich der Wüstenstaat gesellschaftlich weiter – oder hat er, wie allseits befürchtet, liberale Gesetze wieder einkassiert?

Löste die WM einen Tourismus-Boom aus?

Wer ein Jahr nach der WM nach Doha reisen will, hat keine Schwierigkeit, eine Unterkunft zu buchen. Die Börse booking.com bietet für die Woche vom 19. bis 26. November 150 Unterkünfte an, man kann gute Hotels vertrauter Ketten für 500 Euro die Woche buchen. Vor einem Jahr, als es keinen freien Markt gab und die staatlichen Behörden die Unterbringung regelten, war das der Preis für eine Nacht – wenn man denn überhaupt etwas bekam. Im direkten Vergleich zur WM wirkt Katar darum heute leer – Berthold Trenkel von „Qatar Tourism“ ruft gegenüber dem Portal Reise und Preise jedoch Zahlen auf, die diesen Eindruck widerlegen sollen. Die erste Jahreshälfte 2023 erbrachte gegenüber den ersten sechs Monaten 2022 einen Zuwachs an Besuchern von 350 Prozent, sogar die kritischen Deutschen, die an der Spitze der Boycott-Qatar-Bewegung gestanden waren, sind offen geworden. 2022 betrug ihre Gesamtbesucherzahl inklusive WM 30 000 – allein in den ersten vier Monaten nach der Weltmeisterschaft wurde sie verdreifacht. Katar hat einige Beach-Clubs eröffnet und die Bettenkapazität um 31 Prozent erweitert, um für eine touristische Zukunft gewappnet zu sein. Allerdings: Angesagt ist Katar vor allem bei den arabischen Nachbarländern. Mehr jedenfalls als im Rest der Welt.

Was wurde aus den Stadien der WM?

Das älteste, das Al-Khalifa bei der Aspire Academy, und das in die Wüste gesetzte, einem Beduinenzelt nachempfundene Al-Bayt – in beiden Arenen spielte die deutsche Mannschaft – sollten bestehen, die anderen rückgebaut oder wie das Container-Stadion 974 abgebaut und verschenkt werden.

Und? Eigentlich steht noch alles, was für die WM errichtet wurde. Das hat damit zu tun, dass 2024 die Fußball-Asienmeisterschaft in Katar stattfinden wird. Einige Stadien wurden auch regulär bespielt – etwa das Al-Thumama in der Qatar Stars League. Im Al-Khalifa war asiatische Champions League. Im Ahmad-bin-Ali fand das Finale um den Amir Cup statt, das ist der nationale Pokalwettbewerb. Wer das Endspiel an der Seite des Emirs Al-Thani verfolgte: Gianni Infantino. Ja, der FIFA-Präsident residiert noch in Doha, wohin er vor der WM seinen Hauptwohnsitz verlegt hatte. Kürzlich war er auch zu Gast bei der Formel 1 in Doha.

In Betrieb ist weiterhin das Al-Janoub-Stadion, es war am 12. September Austragungsort eines besonderen Länderspiels: Katar – Russland. In Doha wurde heile Fußballwelt wie vor dem Krieg in der Ukraine gespielt – mit jungen und weiblichen russischen Fans auf der Tribüne. Sonst spielt ja kaum ein Land gegen den suspendierten russischen Verband. In Katar scheint’s nicht zu stören.

Die katarischen Fußballstadien werden aber nicht nur für den Fußball genutzt – sondern auch zu Gebetsstätten umgewidmet. Etwa das Education City Stadium für das „Muslim Festival“ Ende Juni.

Fußball ist nicht das Thema, mit dem Katar punkten kann. Fotos von Spielen der Stars League zeigen spärlich besetzte Ränge. Pläne, die Liga mit internationalen Größen aufzuwerten, wurden von der Transfer-Offensive des Nachbarlands Saudi-Arabien durchkreuzt, das 2034 die katarische WM von 2022 übertrumpfen will.

Wie ist die Situation der Arbeitsmigranten?

Im Mai 2023 schlossen die internationale Gewerkschaft ILO und Katar eine Vereinbarung, die sich fair liest: Agenturen, die Arbeitskräfte nach Katar bringen, dürfen keine Vermittlungsgebühren von ihnen kassieren, Pässe dürfen nicht einbehalten werden, der Mindestlohn beträgt 275 US-Dollar im Monat (dazu kommen 137 Dollar Zuschlag, wenn keine Unterkunft gestellt werden kann, und 82 für Verpflegung), die Wochenarbeitszeit ist auf sechs mal acht Stunden beschränkt, es gibt Urlaubsanspruch und Verordnungen gegen die Arbeit in der Hitze – doch Papier ist geduldig und die gelebte Praxis eine andere. Ihr Unwesen treibt weiterhin die Firma „Stark Security“, die extra für die WM eingestellte Arbeitskräfte etwa aus Gambia nicht bezahlte oder ihnen zwei Tage nach dem WM-Finale trotz noch Monate laufender Verträge kündigte. Zwei Arbeiter erstritten einen gerichtlichen Zahlungsanspruch über 5440 und 6730 Dollar – vollzogen wurde er aber noch nicht.

Opfer von Stark Security sitzen in Katar fest. Und Amnesty International stellt fest, dass ein Entschädigungsfonds für Hinterbliebene verstorbener Arbeiter nicht geschaffen wurde. Katar hat Versprechen gebrochen.

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