Berlin – Seit Jahren plagen die deutsche Fußball-Nationalmannschaft massive Qualitätsprobleme auf den Außenverteidiger-Positionen. Das ist Bundestrainer Julian Nagelsmann natürlich nicht entgangen – und er will sich dieser Problematik im Hinblick auf die Europameisterschaft 2024 im eigenen Land annehmen. Darum entschied sich der Fußballlehrer in der vergangenen Trainingswoche in Berlin, Offensivspieler Kai Havertz (24) umzuschulen – auf Linksverteidiger.
Warum auch nicht? Der Angriff wird bei der EM mit Spielern wie Leroy Sané (27), Jamal Musiala (20), Florian Wirtz (20), Thomas Müller (34), Serge Gnabry (28), Julian Brandt (27) oder Niclas Füllkrug (30) prominent besetzt sein. Da kann man einen Angreifer zum Wohle der defensiven Stabilität schon mal zurückziehen. „Wir haben unterschiedliche Formationen, je nach Höhe des Gegners. Kai wird nicht nur dort spielen, er hat eine außergewöhnlich gute Kopfballstärke. Er ist eine sehr gute Option, nicht der klassische Linksverteidiger, wie man ihn kennt“, erklärte der Bundestrainer seine Gedankengänge.
Die Argumentation fällt dann freilich schwerer, wenn man trotz intensiver (und öffentlich angekündigter) Defensiv-Trainingsarbeit gegen eine durchschnittliche Mannschaft wie die Türkei drei Gegentore kassiert, der „Umgeschulte“ den entscheidenden Elfmeter verursacht – nachdem er zuvor den ersten deutschen Treffer erzielt hat. Trotzdem ist und bleibt Nagelsmann weiterhin von seiner Havertz-Idee überzeugt. „Kai hat ein herausragendes Spiel gemacht. Die einzige Personalie, die überraschend war, war heute mit unser bester Mann.“
Darum plant der Nagelsmann ernsthaft, ihn auch bei der Europameisterschaft als Linksverteidiger einzusetzen: „Kai hat gesagt, er will es machen, will es probieren. Ich sehe darin kein Risiko für ihn, sondern eine sehr, sehr große Chance, eine tragende Rolle bei einer Heim-EM zu spielen.“
DFB-Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus kann mit dieser Experimentierfreude des Bundestrainers nur bedingt etwas anfangen – er erklärte: „Ich habe gedacht, die Ausprobiererei ist vorbei nach der Entlassung von Hansi Flick. Spieler, die die Position kennen, sollten auch da spielen. Franz Beckenbauer hat mal gesagt: Ein Stürmer hat im eigenen Strafraum nichts zu suchen.“ Das sieht der neue Bundestrainer augenscheinlich anders. bok