Berlin – Seine Heimspiel-Premiere hatte sich Julian Nagelsmann (36) anders vorgestellt. Wobei das Testspiel gegen die Türkei, das im Berliner Olympiastadion mit 2:3 (1:2) verloren ging, eher als Auswärtspartie gewertet werden müsste. Den Ton auf den ausverkauften Rängen gaben nämlich die türkischen Anhänger lautstark an. Bei jedem Ballkontakt der DFB-Auswahl schrillte ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert, vor allem, wenn Kapitän Ilkay Gündogan (33) das Leder am Fuß hatte.
Allerdings wäre es zu einfach argumentiert, die Niederlage mit der hitzigen Atmosphäre zu begründen. Abgesehen von den ersten 20 Minuten strahlte Deutschland nicht die erwartete Dominanz und den erhofften Esprit aus. Das hatte zur Folge, dass sich die Bundestrainer-Bilanz von Nagelsmann nun wie folgt liest: drei Spiele, ein Sieg, ein Remis und eine Niederlage. „Wir sind nicht genügend an unsere Grenzen gegangen“, bilanzierte der 36-Jährige und ging mit seinem Team nicht gerade zimperlich um: „Einige Spieler hatten nicht die hundertprozentige Überzeugung, den Willen.“ Dabei waren das die beiden Attribute, die Nagelsmann bei seinem Amtsantritt mit Hinblick auf die Heim-Europameisterschaf gefordert hatte.
Gündogan sprach am RTL-Mikrofon davon, dass die Mannschaft nach der Anfangsphase und dem Treffer von Kai Havertz (24) zum 1:0 nach fünf Minuten nicht mehr zielstrebig genug gewesen sei und den Ball nicht mehr gut bewegt habe: „Die Türken haben es im Mann gegen Mann gut gespielt und wir haben keine Lösungen gefunden. Wir waren nicht aggressiv genug – und man muss auch ehrlich sagen, dass ihre Tore auch nach Fehlern von uns fallen. So ist es schwer gegen, egal welchen Gegner, zurückzukommen. Wir waren einfach zu passiv.“ In den zehn Spielen des Jahres hat das DFB-Team 20 Gegentore bekommen.
Nach einem türkischen Doppelschlag kurz vor der Halbzeit, bei dem sowohl Benjamin Henrichs (26) als auch Leroy Sané (27) schlecht aussahen, ging es mit einem 1:2 in die Kabine. Der schnelle Ausgleich durch Niclas Füllkrug (30) nach Wiederanpfiff war nur ein kurzes Aufbäumen, ehe Yusuf Sari per Strafstoß die DFB-Pleite besiegelte (71.) – EM-Alarm statt EM-Euphorie!
„Wir lassen uns nicht unterkriegen. Es ist unser Job, weiterzumachen“, gab sich Thomas Müller (34) kämpferisch – und dürfte seinem Bundestrainer damit aus der Seele gesprochen haben. Nagelsmann verbittet sich in der jetzigen frühen Phase seiner Amtszeit Schwarz-Weiß-Denken: „Wir können jetzt alles schlecht sehen, da werden wir aber nicht weiterkommen als Fußball-Nation. Ich bin weit davon entfernt, alles negativ zu sehen. Sinnvoll ist es nicht, schwarz-zusehen, davon werden wir nicht besser.“ DFB-Präsident Bernd Neuendorf warnt bei Bild-TV: „Wir gefallen uns oft darin, in eine toxische Situation zu kommen. Wir müssen Stärken stärken.“
Was hilft, sind Siege. Im besten Fall bereits am Dienstag in Wien gegen Österreich (20.45 Uhr, ZDF). Das weiß auch Routinier Müller: „Das Schöne ist, dass es nicht das letzte Spiel dieser Länderspiel-Periode ist. Wir haben am Dienstag noch mal eine Chance – und deswegen geht unser Blick schon jetzt Richtung Österreich.“
Sollte diese Partie ebenfalls in die Hose gehen, werden die EM-Alarmglocken ähnlich laut schrillen wie die Pfiffe der türkischen Fans in Berlin gellten.