Überfall auf die Jury

von Redaktion

Immer mehr Eiskunstläufer haben in ihrer Kür eine Passage, in der sie das strenge Gremium angehen

München – Hallo Preisrichter, hier bin ich! In dieser Eiskunstlauf-Saison machen die Läufer mächtig auf sich aufmerksam – aber nicht mit Sprüngen, sondern mit Überfällen auf die Jury. Mindestens ein Dutzend haben in der Kür eine Passage, in der sie das strenge Gremium angehen. Vorgemacht hat das Weltmeisterin Kaori Sakamoto, die in ihrer „Matrix“-Kür von 2019 andeutete, die Preisrichter mit einem Kufenstreich zu köpfen. Jetzt imitieren sie alle.

Imposant ist das bei Kevin Aymoz: Der gefühlvolle Franzose lief bei der ersten Grand-Prix-Station in den USA die beste „Bolero“-Kür der letzten 40 Jahre und beendete diese mit einer Angriffspose vor den Richtern. Provokant gibt sich die Belgierin und Vize-Weltmeisterin Loena Hendrickx, die in ihrem Kurzprogramm an der Bande herumwirbelt wie beim Pole-Dancing und dabei die Juroren anflirtet.

Die Asiaten, wie Haein Lee aus Korea oder Kao Miura aus Japan, zwei starke Newcomer, halten etwas Abstand, rauschen aber ebenso herausfordernd auf das Preisgericht zu. Sogar die russische Olympia-Skandalteilnehmerin Kamila Valieva schäkert in ihrem Kurzprogramm „I see red“ mit den Juroren, als wäre ihre Dopingprobe nie positiv gewesen.

Woher der Trend? Vielleicht liegt es daran, dass Valieva und ihre Landsleute, anders als etwa im Schwimmen oder Fechten, immer noch nicht wieder an internationalen Eiskunstlauf-Wettkämpfen teilnehmen dürfen. Das senkt die Disziplin. Der Druck, vierfach springen zu müssen wie ein russischer Teenager, ist bei den Eislaufdamen jetzt weg. Bei den Grand Prix in Texas, Ontario, Frankreich, China und Finnland gab es viele Stürze, oft wurde nur doppelt gesprungen statt dreifach, und unterdreht. Zahlreiche Absagen passen ist Bild einer neuen Gemütlichkeit: Die deutsche Nicole Schott hat eine Wettkampfpause eingelegt, die Schweizer Hoffnung Kimmy Repond stornierte ihren zweiten Grand-Prix-Start verletzungsbedingt, der Südtiroler Daniel Grassl zog sich „wegen körperlichem und seelischem Stress“ zurück.

Freude für Deutschland gibt es bei den Paaren: Da starke Russen fehlen, haben sie in dieser Kategorie mal wieder etwas zu melden. Annika Hocke und Robert Kunckel siegten beim ersten Grand Prix in Texas, den zweiten schlossen sie als Vierte ab, so dass das Finale so gut wie sicher ist. Und auch Minerva Fabienne Haase und Nikita Volodin legten einen Überraschungssieg hin – wenn nächstes Wochenende in Japan alles gut läuft, sind zwei deutsche Paare im Finale.

Ein weiterer lustiger Trend auf dem Eis ist es übrigens, ein Rad zu schlagen. Auch wenn es als reines Gimmick keine Punkte bringt, wer es nicht im Programm hat, gilt diesen Winter als nicht eisfähig. Seltene Blüten treibt dagegen Trend Nummer drei: In Kanada dürfen jetzt auch gleichgeschlechtliche Paare zu Wettkämpfen antreten. Die neue Regel hat schon einige Läufer inspiriert, entsprechende Choreografien einzustudieren und auf Youtube zu zeigen. Die Weltmeister Stéphane Lambiel (2005) und Guillaume Cizeron (fünffach mit Gabriella Papadakis) laufen etwa auf Henryk Goreckis „Symphony No.3“. Unter Russen undenkbar. Für die laufende Saison scheint jedenfalls zu gelten: Wenn die Katze aus dem Haus ist, gleiten die Mäuse auf dem Tisch.

ISABEL WINKLBAUER

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