„Ich war im Himmel und in der Hölle“

von Redaktion

Drogen, Doping, Titel – Jan Ullrich spricht über die dunkelsten Stunden in seinem Leben

München – Drogen, Doping, Tod: Deutschlands früherer Radstar Jan Ullrich hat tiefe Einblicke in seine mittlerweile überstandene Lebenskrise gewährt. Im Interview mit dem Magazin stern sprach der Tour-de-France-Sieger von 1997 über die schwierige Zeit nach dem Dopingskandal, seine Alkoholsucht sowie die Eskapaden auf Mallorca. „Ich war nicht weit weg vom Tod“, sagte Ullrich.

Ullrich war 2018 schwer abgestürzt und hatte unter anderem mit seinem Drogenkonsum für Negativschlagzeilen gesorgt. Drei Jahre zuvor war er mit seiner Ehefrau Sara und den drei Kindern nach Mallorca gezogen. Es sei „zuallererst eine Flucht vor dem trüben deutschen Winterwetter“ gewesen, erzählte Ullrich: „Am Ende folgte der Absturz – so tief, tiefer ging es nicht.“

Ullrich machte die Einsamkeit zu schaffen, als ihn seine Familie verlassen hatte. Der heute 49-Jährige begann zu trinken. „Aus Wein wurde Whiskey. Erst eine Flasche am Tag, später bis zu zwei. Es war ein einziges Betäuben“, sagte der gebürtige Rostocker. Seine Finca entwickelte sich fortan zum „Party-Place“, „irgendwann brachte einer Kokain mit“ und das „macht dich innerhalb kürzester Zeit vom Menschen zum Monster“, gab Ullrich zu.

Als Ehefrau Sara aber damit drohte, dass er seine Kinder nicht mehr sehen dürfe, lenkte Ullrich ein. Das sei „der einzige Grund“ gewesen, „mich in ärztliche Behandlung zu begeben“, sagte er: „Ich wusste: Ich musste etwas tun, wenn ich sie überhaupt nur wiedersehen wollte.“ Unter anderem mit der Hilfe seines einst größten Rivalen Lance Armstrong kämpfte sich Ullrich zurück in einen geregelten Alltag.

Auch zum Thema Doping äußerte sich Ullrich. „Ohne nachzuhelfen, so war damals die weitverbreitete Wahrnehmung, wäre das so, als würdest du nur mit einem Messer bewaffnet zu einer Schießerei gehen“, sagte er. Sätze, die er damals in dieser Deutlichkeit nie aussprach. Mit der Argumentation der Chancengleichheit wollte er 2006, nachdem er vom Team wegen Verbindungen zum spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes suspendiert worden war, allerdings nicht an die Öffentlichkeit gehen. „Ich wollte kein Verräter sein. Ich wollte auch nicht mit Halbwahrheiten raus und schon gar nicht mit der ganzen Wahrheit“, sagte Ullrich und begründete es mit juristischen Zwängen. „Da hingen Existenzen dran, Familien, Freunde. Die Anwälte haben mir gesagt: Entweder du gehst raus und reißt alles ein, oder du sagst gar nichts.“

Diese Entscheidung bereut er nun. „Aus heutiger Sicht hätte ich reden sollen. Es wäre für einen kurzen Moment sehr hart geworden, aber danach wäre das Leben leichter gewesen“, sagte Ullrich und erklärte: „Es war bisher ein Leben in Extremen. Ich war im Himmel, und ich war in der Hölle. Jetzt bin ich zurück auf der Erde, auf dem Weg in die Mitte.“

Für den Satz „Ich habe gedopt“ habe ihm in der Vergangenheit die Kraft gefehlt. Er kommt ihm auch in dem „Stern“-Interview nicht über die Lippen. Ullrich redet über Doping ohne explizites Geständnis. Dieses könnte allerdings in der Amazon-Dokumentation „Jan Ullrich – Der Gejagte“ folgen, die am 28. November erscheint.

Doping war im Radsport Normalität, die Hemmschwelle entsprechend niedrig. „Allgemein überwog die Einstellung: Wenn man das nicht macht – wie will man in einem Rennen bestehen? Dann fährst du im Peloton und weißt, du bist wahrscheinlich einer derjenigen, die nichts drin haben, und deswegen hast du auch null Chancen“, sagte Ullrich. 2007 räumten Fahrer wie Bert Dietz, Christian Henn, Udo Bölts, Rolf Aldag, Erik Zabel und Bjarne Riis Doping öffentlich ein. Ullrich schloss sich seinen Teamkollegen nicht an. 2012 wurde Ullrich vom Internationalen Sportgerichtshof CAS für zwei Jahre gesperrt, diverse Erfolge zwischen 2005 und 2006 wurden ihm aberkannt.  sid, dpa

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