„Ja, ich habe gedopt. Jetzt ist es raus“

von Redaktion

Jan Ullrich gesteht offiziell, gedopt zu haben – und fühlt sich befreit

München – Das Spiel zog sich über Jahre hin. Die Öffentlichkeit forderte: Gestehe, dass du gedopt hast. Doch Jan Ullrich sagte immer nur: „Ich habe niemanden betrogen.“ Nun endlich gibt es das Geständnis, und wer die Verfehlung aus dem Mund des gefallenen Radsport-Idols Jan Ullrich hören will, der muss in die demnächst erscheinende Amazon-Dokumentation „Der Gejagte“ hineinschauen, die im Beisein der Protagonisten am Mittwoch in München vorgestellt wurde.

Ullrich, den sein älterer Bruder Stefan „ein Wunderkind“ nennt, gibt zu, 1996 vor der Tour damit in Berührung gekommen“ zu sein. Er nahm Epo, wurde bei seinem Debüt auf der großen Frankreich-Schleife Zweiter, im Jahr darauf gewann er die Rundfahrt, stieg auf zum Superstar. Jetzt, mit knapp 50 (der runde Geburtstag ist am 2. Dezember), blickt er zurück auf die Entscheidungsprozesse im Jahr 1996. „Ich kam in ein System rein, war jung und naiv. Das wurde mir so schmackhaft und unentbehrlich gemacht, dass ich mich dafür entschieden habe. Und meine Karriere wäre zu Ende gewesen, hätte ich es nicht gemacht. Es wurde mir plausibel erklärt und war einleuchtend.“ Epo war zunächst nicht nachweisbar. Jan Ullrich: „Es war verboten und doch nicht, man konnte es nicht kontrollieren.“ Plagten ihn denn keine Zweifel und Gewissensbisse? „Mit dem Argument, es ist weit verbreitet und sorgt für Chancengleichheit, hat man das schlechte Gefühl weggemacht.“

Später wurde Ullrich zum Kunden des spanischen Gynäkologen Eufemiano Fuentes, der Athleten nicht nur aus dem Radsport Blut entnahm, es mit Sauerstoff anreicherte und ihnen später wieder zuführte. „Fuentes ist ein sehr sympathischer Mann. Ich habe ihn nicht oft getroffen, hatte aber Vertrauen. Und mir wurde gesagt, es ist sicher.“ Die Methode von Fuentes habe jedenfalls gewirkt. „Man merkt es, wenn man das eigene Blut wiederbekommt – das ist ein Schub. 2006 stand ich in Topform da.“

Den Satz „Ja, ich habe gedopt“ sprach Jan Ullrich denn nach Vorführung von zwei der Doku-Episoden auf der Bühne des Münchner Kinos am Sendlinger Tor mit über 17 Jahren Verspätung am 22. November 2023. „Jetzt ist es raus, das Hegeimnis ist ausgesprochen, jetzt weiß jeder Bescheid. Und ich fühle mich gut damit.“

Er sagt auch, dass sein Schweigen viel zu lange gedauert und ihn belastet habe. Aber er sah damals, dass Jörg Jaksche, der als Erster ausgepackt hatte, im Radsport verbrannt war. „Und ich wollte kein Geständnis, bei dem ich andere mit reinziehe“, erklärt er nun. „Aber dass ich meine Karriere beendet habe, war ja wie ein kleines Schuldeingeständnis.“

Nach 2006 geriet Jan Ullrichs Leben aus den Fugen – darum geht es in „Der Gejagte“. Und über den Weg zurück zu sich selbst, zu einem Typen, der einfach gerne Rad fährt. Das tat er für den Amazon-Vierteiler wieder. In kleinen Gängen arbeitet er sich nach Alpe d’Huez und nach Arcalis in Andorra hinauf und zum Galibier. Bergstrecken, an denen er seinen Ruhm begründete und litt.

Die Doku zeichnet auch ein Sittenbild des professionellen Radsports, der Formel 1 ohne Knautschzone, wie man sie nennt, dem „härtesten Sport der Welt“, so formuliert es Johan Bruyneel, der frühere Sportliche Leiter des Lance-Armstrong-Teams. Jeder zweite Gesamtsieger der Tour-de-France-Historie wurde positiv getestet. Im Fahrerfeld der frühen Jahre konsumierte man einen Mix aus Nitroglyzerin, Kokain und Koffein, in der Neuzeit wurden die Methoden feiner, stets herrschte Konsens, dass es schon okay sein, die Leistung für die große Show zu optimieren. Die Risiken wurden verdrängt. Danilo Hondo, einer der Co-Stars der Ullrich-Zeit, sagt: „Wenn du dich mit 120 km/h die Abfahrt runterhaust, ist das Letzte, woran du denkst, eine Niereninsuffizienz.“ GÜNTER KLEIN

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