München – Im leise tuckernden Auto an der Startlinie stehen und wegen des laut dröhnenden Motors der Konkurrenz durchgeschüttelt werden: So könnten sich die deutschen Biathleten vor dem Weltcupstart am Samstag (12.30 Uhr/ARD und Eurosport) in Östersund fühlen.
Der Grund waren die Vorbereitungsrennen im norwegischen Sjusjoen. „Das war wie ein Autorennen mit 50 PS gegen 200 PS“, fasst der Sportdirektor des Deutschen Skiverbandes Felix Bitterling zusammen. Noch deutlich wurde Ole Einar Björndalen. Norwegens Ikone hatte im „Dagbladet“ in Bezug auf die Deutschen von „latterlig“ gesprochen (lächerlich). Allerdings meinte der als TV-Experte arbeitende Ex-Star nur das Tempo bergab. Schuld daran: Ski-Belag. Der muss ab dieser Saison wintersportübergreifend fluorfrei sein. Wegen eines zweifelhaften Testverfahrens hat das Gebot kaum Fans.
Das es zudem wettbewerbsverzerrend wirken könnte, sollten nur manche hinter das Geheimnis fluorfreier, schneller Wachse kommen, dürfte das nicht ändern. „Die Norweger haben sich fast entschuldigt“, so Bitterling, der veranschaulicht: „In den vergangenen Jahren hatte man eine riesige Datenbank zur Skipräparierung. Dieses Wissen ist jetzt nahezu nutzlos.“ Auch die Norweger müssen sich das neu erarbeiten – nur haben sie früher begonnen. Der deutsche Cheftechniker Sebastian Hopf sagte im Podcast „Extrarunde“, die Norweger seien in den letzten zwei Jahren immer mit zusätzlichen Technikern unterwegs, „die schon die fluorfreien Produkte getestet haben“. Beim DSV sei das aus „finanziellen Gründen nicht in dem Umfang möglich“ gewesen.
Trotzdem gibt es auch frohgemute Stimmen. Eine gehört Jens Filbrich. Der Ex-Langläufer ist im DSV zum Co-Trainer der Männer unter dem Neu-Bundestrainer und Mark-Kirchner-Nachfolger Uros Velepec aufgerückt. Im Gespräch mit uns räumt er „die Auswirkungen des Fluorverbots“ in Sjusjoen zwar ein, verweist aber auf die Arbeit der Skitechniker. Daher, und wegen anderer Bedingungen, könne das bald anders aussehen, ist Filbrich optimistisch.
Auch die Einstellung im Team passt. „Die Jungs haben auf der Strecke gut gearbeitet, konnten pushen. Die Form stimmt“, sagt der mit WM- und Olympiamedaillen dekorierte Ex-Profi. „Ich glaube weiter daran, dass wir die Norweger ärgern können.“
Den Siegeswillen lebt er im Training noch vor – wie von seinen Schützlingen zu hören war. „Da haben die Jungs eine Einheit im Höhentrainingslager im klassischen Stil gemeint“, so Filbrich: „Ich war motiviert und die Jungs vielleicht ein bisschen überrascht, wie gut ich den Berg noch hochgekommen bin.“
Wobei dieser Einsatz keine Ausnahme war. „Wenn die Sportler bei drei Grad einen Pass raufrollern, ist es etwas anderes, ob der Trainer seine Anweisungen aus dem Auto gibt, oder mitläuft und demonstriert“, sagt Filbrich. Und zu demonstrieren gab es einiges, vor allem bei der Lauftechnik. „Heutzutage wird am Berg mit sehr hoher Frequenz gearbeitet. Klingt zwar anstrengender, aber es ist ökonomischer als die kraftvollen Schritte“, erklärt der Fachmann.
Im Optimalfall zahlt sich seine Arbeit schon am Wochenende aus. Die größte Männer-Hoffnung ist Benedikt Doll („Ich will mir ein Hintertürchen offen lassen), der wohl in seine letzte Saison startet. Das Frauen-Team gleicht nach dem Rücktritt von Denis Herrmann-Wick einer Wundertüte. Was die Mannschaft um das Trio von Vanessa Voigt, Hanna Kebinger und Sophia Schneider, das Teil der WM-Silber-Staffel war, leisten kann, muss sich zeigen. Selbiges gilt für Rückkehrerin Franziska Preuß,. Als größte Nachwuchshoffnung gilt Selina Grotian vom SC Mittenwald.
Und der Gesamtweltcupsieg? Geht bei den Frauen wohl nur über Vorjahres-Championesse Julia Simon aus Frankreich. Auch die Italienerin Lisa Vittozzi überzeugte bei den Tests. Bei den Männern ist niemand anders als der norwegische Dominator Johannes Thingnes Bö denkbar – und das nicht nur wegen des Material-Vorteils