München – Selbst dem Energiebündel im hintersten Winkel der Haupttribüne erlahmten in der Schlussphase die Kräfte. Voller Inbrunst hatte Giovanni Iemma das verzweifelte Anrennen der Löwen kommentiert, sich keine Minute hingesetzt, immer wieder seinen berühmten „Fokus“ auf die erhoffte Trendwende gerichtet. Gegen so viel Pech, das musste der frühere Preisboxer einsehen, ist jedoch auch der feurigste Mentalcoach machtlos. Elfer verschossen (Schröter, 62.), Unterzahlspiel nach einem sinnlosen Platzverweis (Glück wegen Ballwegschlagens, 64.) – und als dann auch noch dichtes Schneetreiben einsetzte, war absehbar, dass 1860 dieses S-Bahn-Derby nicht mehr gewinnen würde. So kam es schließlich auch. Endstand: 0:1. Erste Löwen-Pleite gegen Haching seit 2007. In der Tabelle zieht der kleine Rivale davon. Mamma mia, haderte der Landsmann von Maurizio Jacobacci. „Das Spielglück fehlte, sonst nix“, so Iemma: „Wenn nicht mal der Elfer reingeht . . . das ist ja zum Verrucktwerden!“
In der Tat ist 1860 gerade kein Verein für zart besaitete Gemüter. Zoff in der Führungsebene, unnötiges Aus im Totopokal, Trainer unter Druck, Geschäftsführer vor dem Aus. Am Samstag wirkte es, als würde Haching die paar Prozentpunkte Konzentration und Geschlossenheit auf den Platz bringen, die den Löwen in ihrer Negativspirale abhandengekommen sind. Exemplarisch die spielentscheidenden Szenen. Haching reichte eine gelöffelte No-Look-Hereingabe von Basti Maier, um per Kopfball-Bogenlampe von Mathias Fetsch in Führung zu gehen (21.). Die Löwen dagegen trafen nur die Abwehrbeine von Josef Welzmüller & Co., als René Vollath bei seinem einzigen Fehler eine Doppelchance zugelassen hatte (43.).
Für den Torwartroutinier der SpVgg zahlte es sich aus, dass er wie alle Hachinger seine Hausaufgaben gemacht hatte. „Wir haben die Löwen in Grund und Boden analysiert“, hatte Trainer Marc Unterberger im Vorfeld des Derbys getönt. Keine hohle Phrase, wie sich zeigte. „Ich wusste schon vorher, wohin er schießt“, sagte Vollath, nachdem er sich den Strafstoß des von Waidner angeblich gefoulten Schröter geschnappt hatte: „Schon vor dem Spiel hab ich es gewusst!“ Der Platzverweis gegen Aushilfsrechtsverteidiger Michael Glück zwei Minuten später war ausgleichende Ungerechtigkeit eines lange soliden Schiedsrichters. Die Löwen bauten sogar in Unterzahl noch mal Druck auf, doch auf dem seifigen Platz schwanden erst die Kräfte, dann der Glaube und die Überzeugung. „Tut bitter weh, Unterhaching im eigenen Stadion so jubeln zu sehen“, sagte Sechser Tim Rieder: „Ein besch . . . Samstag!“ Kapitän Jesper Verlaat sagte: „Es ist normal, wenn man jetzt nach so einem Spiel angefressen ist. Man hat im Nachhinein das Gefühl, dass alles dann wieder gegen einen läuft.“
Vielleicht auch, weil das Umfeld bei 1860 nicht dazu angetan ist, einen Gemeinschaftssinn zu entwickeln, der die Hachinger am Samstag auszeichnete. In der Kurve entrollten Ultras Plakate, die sich mit deftiger Wortwahl gegen u.a. Hasan Ismaik richteten („Du Schwein“). Und im übertragenden BR, da sah und hörte man, wie Geschäftsführer Marc-Nicolai Pfeifer sein seit Freitag besiegeltes Aus (zum 30. Juni 2024) kommentierte. „Es muss um Sechzig gehen“, sagte der scheidende KGaA-Boss tapfer: „Meine persönliche Thematik ist hier nicht im Vordergrund.“ Er ließ aber auch durchblicken, dass das Lagerdenken bei 1860 konstruktive Arbeit erschwert. Die politischen Themen, so Pfeifer, „ich glaube, dass die Sechzig nicht guttun“.
Mit dieser Meinung steht der 42-Jährige nicht alleine da. Wenn man auf die Tabelle schaut: Mit sieben Punkten nach oben und sechs nach unten ist sportlich die Luft raus. Die Gefahr besteht, dass die Politik bei 1860 ab sofort noch mehr in den Vordergrund rückt. Falscher Fokus, würde Iemma sagen, doch der Mentalcoach ist fein raus – schon gestern ging es für ihn zurück in die Heimat. Was Verlaat zur misslichen Lage sagte, hätte auch von ihm stammen können: „Wir müssen da als Mannschaft gestärkt rauskommen.“