Wie im Rausch

von Redaktion

Deutsche Wintersportler bärenstark: geht’s so weiter? – Eine Analyse

VON THOMAS JENSEN

München – Verschneite Wälder, Atemwolken, tiefe Sonne. Der Start der Nordischen Disziplinen hat den Winter aus den TV-Bildschirme in die Wohnzimmer hüpfen lassen – und deutsche Erfolge.

Entgegen allen Sorgen um fluorfreies Wachs und manche Trends der jüngeren Vergangenheit räumte der Deutsche Ski Verband Spitzenplätze ab, wie er es disziplinenübergreifend kaum mehr gewohnt ist. Fingerzeig im Fäustling oder Zufall zum Auftakt? Eine Analyse:

Vier auf dem Stockerl, zwei weitere in den Top Ten. Den Skijägern gelang in den Einzeln von Östersund eine – untertrieben formuliert – Überraschung. Die unglaublichste Platzierung holte die, der man sowas eigentlich am meisten zutrauen würde, wäre sie nicht so krankheitsgeplagt: Franziska Preuß.

Ein persönliches Märchen eingerahmt in Teamstärke. Das sichere Schießen stimmt optimistisch – gleichzeitig lässt ein Einzel durch sein Naturell mehr Überraschungen zu als andere Rennen. Auffällig: Vier DSV-Frauen lieferten Top-15-Laufzeiten, der Abstand auf die schnellste Elvira Oeberg waren bei mindestens 1:35 Minuten (Sophia Schneider) dennoch groß.

Ähnliches gilt für die Männer, deren reine Laufzeit schneller war als die mancher Norweger – trotz großer Abstände auf die Spitze. Aber auch Johannes Thingnes Bö, vergangene Saison unangetastet in der Loipe, kassierte 34 Sekunden auf den Schweden Sebastian Samuelsson.

Indizien, dass das Wachs eine größere Rolle spielt als früher. Aber auch, dass die deutsche Form stimmt und das nicht nur Ausreißer waren.

Fazit: Auch Realisten dürfen optimistisch sein.

Ein persönliches Märchen durch Oldie und Podest-Debütant Pius Pascke, begleitet von zwei weiteren Stockerlspringern (Stephan Leyhe und Andreas Wellinger), sowie Top-Ten-Plätzen – das sind gefühlt schon mehr Spitzenplätze als im vergangenen Winter. „Wir haben an einigen Schrauben gedreht“, sagte Bundestrainer Stefan Horngacher in Ruka. Offensichtlich waren es die richtigen Schrauben.

Skispringen ist ein Sport, der plötzlich zu Großereignissen in Form Kommenden. Der auf einmal auftrumpfenden Unbekannten. Aber ebenso des früh gesetzten Tons. In den vergangenen drei Saisons landeten nur zwei derer, die in den ersten beiden Springen auf dem Podium waren, später nicht unter den besten Acht gesamt.

Optimismus-Hüpfer erlaubt.

Zwei Stockerl und ein vierter Platz durch die Münchnerin Lena Dürr verzücken bei absagebedingt bisher nur fünf Rennen. Ihre Leistungen sind schon lange kein Zufall mehr. Ebenso hat das knappe Programm gereicht, um zu zeigen, dass bei mancher Baustelle (Riesenslalom Frauen) weiter hartes Werkeln ansteht. Wie gut die Alpinen durch die Vorbereitung gekommen sind, ob mehr drin ist als aufgeigende Einzelkönner, könnten die ersten Männer-Speed-Rennen am Wochenende andeuten.

Optimismus noch bremsen.

Das erste Mal seit 1998 gab es kein Podest zum Auftakt. Halb so wild, folgt man Neu-Coach, Hermann-Weinbuch-Nachfolger und vergangenen Winter Noch-Sportler Eric Frenzel: „Leider fehlte noch der Ausreißer nach oben. Wir schmecken uns ein bisschen ran – und das macht hungrig.“ Wenn vierte, fünfte und sechste Plätze von Johannes Rydzek und Julian Schmid, sowie weitere Top-Ten-Plätze „ein bisschen“ ranschmecken sind – was ist dann richtiges ranschmecken?

Wenn noch etwas weiter gesprungen wird, wird der Hunger gestillt.

Gute Frauen (Katharina Henning und Victoria Carl). Sehr respektable Konstanz, die beide zeigen, sie sind in Schlagdistanz. Männer, die unverändert weit weg sind. Das Team von Bundestrainer Peter Schlickenrieder präsentiert sich wie gewohnt.

Neue Saison, aber kein neuer Optimismus.

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