Xenia Smits (29) ist eigentlich Belgierin. Zumindest so halb. Geboren in Antwerpen wechselte sie 2008 mit 14 Jahren auf ein deutsches Handballinternat. Sechs Jahre später hatte das Rückraum-Ass einen deutschen Pass. Heute hat Smits über 100 Länderspiele absolviert und startet mit DHB-Team am 30. November gegen Japan in die WM in Dänemark, Norwegen und Schweden.
Frau Smits, hatte sich die 14-jährige Xenia das alles schon so ausgemalt?
Tatsächlich nicht. Ich war in Belgien schon zwei Jahre im Internat und hatte die Möglichkeit, ein Probetraining in Deutschland zu machen. Ich dachte mir: Wenn ich eh nicht mehr zu Hause wohne, dann lass mal loslegen und gucken, was möglich ist. Aber die Nationalmannschaft war damals weit weg. Meine Mama hat aber auch immer gesagt: Wenn es nicht klappt, kommst du einfach zurück.
Belgien hat derzeit gar kein Frauen-Team, richtig?
Man hat es versucht, meine beiden Schwestern Munia und Aaricia waren dabei. Aber mit einer Nationalmannschaft hatte das nichts zu tun, auch was die finanziellen Möglichkeiten angeht. Der Verband konnte nicht einmal die Reisekosten schultern.
Deutschland war früh der logische Schritt, oder?
Ich habe hier einen Großteil meiner Jugend verbracht. Mein Blut ist belgisch, aber als Handballerin fühle ich mich als Deutsche.
In welcher Sprache träumen Sie?
Gemischt. Ich spreche wohl sehr viel im Schlaf. Meine Mutter, mein Freund oder Johanna Stockschläder, meine Zimmerkollegin beim DHB, fragen mich oft morgens, was ich da wieder alles erzählt habe. Es ist wohl meine eigene Sprache – eine Mischung aus Deutsch, Englisch, Französisch und Niederländisch.
Das Halbfinale, das das Team zuletzt immer verfehlt hat, ist das ein Traum oder kann es real werden?
Es ist ein Traum, der uns alle antreibt. Wir haben in den vergangenen Jahren bewiesen, dass wir in Top-Form alle schlagen können. Wir haben die Überzeugung, dass wir es weit schaffen können.
Entschuldigung, dass ich Sie gleich unterbreche. Aber das hat man sich die vergangenen Jahre auch gesagt. Warum wird es diesmal anders?
Wir sind eingespielter, erfahrener, überzeugter und auch ein bisschen gelassener. Klar wissen wir, was im Hinblick auf die Olympiaqualifikation auf dem Spiel steht. Aber ich denke, nein, ich weiß, dass der Glaube noch größer ist als die Jahre zuvor.
Sie haben Ihre Mutter erwähnt, Ihre Schwestern. Familie ist Ihnen wichtig. Wie viel Familie kann man in einer Nationalmannschaft sein?
Wir sind in den vergangenen Jahren schon zusammengewachsen. Ich kann zu jeder Spielerin mindestens drei bis fünf positive Eigenschaften benennen. Und muss länger überlegen, die Schwächen oder die negativen Eigenschaften aufzuzählen. Es ist sicherlich nicht immer alles schön und nur positiv, aber ich würde schon sagen, dass wir eine gute Mannschaft sind, ohne dass es uns von außen aufgezwungen wurde.
Welche Rolle übernimmt Bundestrainer Markus Gaugisch?
Er ist sehr kommunikativ und positiv. Aber auch sehr klar in seinen Aussagen. Und das alles auf seine witzige schwäbische Art. Die Präsenz, die er im Moment im Frauenhandball zeigt, ist schon enorm.
Er hat den Job als extrem erfolgreicher Vereinstrainer mit großen Vorschusslorbeeren angetreten. War das eine Last, weil die Erwartung da war, dass es auch beim DHB sofort funktioniert?
In den ersten Wochen war es schwer für manche zu wissen, was er genau will. Eine typische Findungsphase. Aber die Zeit ist vorbei. Und diese Begeisterung für den Handball, die er mitbringt, hat er richtig übertragen. Markus gibt immer 100 Prozent. Das ist einfach seine Art.
Gaugisch zählt Sie weltweit zu den fünf besten Abwehrspielerinnen. Vergangenen EM haben Sie überwiegend defensiv gespielt. Wie definieren Sie Ihre Rolle?
Ähm, also…
Da spüre ich Offensivdrang.
Die Frage, ob er mich weiterhin eher nur in der Defensive sieht, kann nur Markus beantworten. Ich finde, dass ich in der bisherigen Saison im Angriff stark abgeliefert habe. Der Fokus wird auf der Abwehr liegen. Aber wenn Markus Eins-gegen-eins-Stärke braucht, werde ich meine Zeiten bekommen. Werfen kann ich übrigens auch (lacht). Im Training knalle ich die Bälle rein.
Abwehr-Mittelblock hinten, Durchbrüche vorne: wie hart im Nehmen muss man da sein?
Im Spiel bekomme ich die Wehwehchen nicht so mit. Nachher wundere ich mich oft, wo die blauen Flecke oder Pferdeküsse schon wieder herkommen. Es geht eben zur Sache. Hinten versuche ich die Aktionen zu unterbinden und mich vorn mit aller Konsequenz durchzusetzen. Augen zu und durch, sozusagen.
Regeneration ist in einem Turnier extrem wichtig. Die Teams des Deutschen Fußball Bunds genießen oft übertrieben Rundumversorgung. Wie viel Luxus haben Sie?
Recovery-Boots, einen Physio, einen Arzt und mittlerweile sogar einen transportable Eistonne. Also alles, was man so fürs Gesundheitliche braucht. Sonst ist es hotelabhängig. Es gab schon Jahre, wo wir im Spa-Hotel waren. Manchmal ist auch außer Essen nichts geboten. Wir nutzen das, was da ist. Und das, was wir nicht haben, können wir ja nicht ändern. Luxus ist also insoweit geboten, dass wir die medizinische Abteilung und das Trainerteam so gut besetzt haben, dass alles andere unwichtig wird.
Klingt nach gelebter Bodenständigkeit?
Anreise nur mit Kulturbeutel, das gibt es bei uns nicht. Es putzt auch niemand meine Schuhe, auf gar keinen Fall. Meine Tape-Reste, meinen Müll, das schmeiße ich selber weg. Wir brauchen keine Extrawurst. Es gibt auch Regeln. Alles, was in der Kabine oder auf der Bank nicht aufgeräumt ist, kostet.
Was ungefähr?
Das ist nicht viel, vielleicht zwei Euro. Wir kriegen auch nicht die Beträge, die im Fußball bezahl werden. Aber es geht einfach um das Bewusstsein. Es kann auch mal vorkommen, dass wir ein T-Shirt oder eine Hose selbst im Waschbecken schnell durchwaschen und dann im Zimmer aufhängen, weil die Räumlichkeiten nichts anderes hergeben.
Hat das die 14-jährige Xenia im Internat auch schon so gehandhabt?
Tatsächlich, ja. Meine Eltern haben sich relativ früh getrennt, dadurch waren wir selbstständig. Es gibt sicher viele Jugendliche, die sagen: Waschmaschine anschmeißen, Rührei – wie macht man so was? Ich war ein bisschen dazu gezwungen, das selbst zu machen und es hat mir und meinen Schwestern sicherlich nicht geschadet. Das hat die Mama gut gemacht.
Interview: Mathias Müller