Flemming Povlsen (56) kennt sich mit Sensationen aus. 1992 wurde er überraschend mit Dänemark Europameister. Mittlerweile ist er TV-Experte und hat auch den FC Kopenhagen im Blick. Seine Landsleute hoffen am heutigen Mittwoch (21 Uhr, DAZN) in der Champions League beim FC Bayern auf einen Punktgewinn. Im Interview erklärt der ehemalige Dortmund-Stürmer, was es dafür braucht und warum er Bayerns Superstar Harry Kane (30) so schätzt.
Herr Povlsen, der FC Kopenhagen hat die Generalprobe verpatzt und am Wochenende in der Liga gegen Viborg verloren. Woran lag’s?
Ich war als TV-Experte beim Spiel. In der ersten Halbzeit habe ich eine Kopenhagener Mannschaft gesehen, die voll auf der Höhe war. Eine, die Meister-Favorit ist und auch in der Champions League mithalten kann. Kurze Pässe, lange Pässe, Pressing – alles hat geklappt. Sie haben nur verpasst, ein zweites Tor zu schießen. In der Pausen-Analyse habe ich gesagt, da spielt eine Mannschaft, die Bayern Paroli bieten kann. In der zweiten Halbzeit war nichts mehr davon zu sehen. Kopenhagen hat Viborg eingeladen, zwei Kontertore zu erzielen.
Dafür ist Kopenhagen besonders anfällig.
Auch im ersten Spiel gegen Bayern hat man das gesehen. Hinten hat Kopenhagen auch nicht die nötige Geschwindigkeit, um die Konter zu unterbinden. Deswegen wurden sie mehrmals schon kalt erwischt. Das sieht man zu oft. Es war auch beim 4:3 gegen Manchester United der Fall. Kopenhagen will immer gerne am Ball sein und das Spiel dominieren, so wie die Bayern. Sie lassen den Gegner gerne laufen. Aber wie man am Samstag wieder gesehen hat, haben sie auch ihre Probleme.
Eine verpatzte Generalprobe ist aber oftmals ein gutes Omen. Was stimmt Sie zuversichtlich für einen Kopenhagen-Coup beim FC Bayern?
Bayern ist natürlich haushoher Favorit, keine Frage. Aber man hat beim 1:2 im Hinspiel gesehen, dass sich Kopenhagen nicht verstecken muss. Die spielerische Überlegenheit der dänischen Liga wollen sie auch auf die Champions League übertragen und Bayern zum Laufen bringen. Das sind die Münchner nicht gewohnt, sie rennen nicht gerne hinterher. Das könnte ein Schlüssel zum Erfolg sein.
Was noch?
Kopenhagen hat einige erfahre Spieler in der Mannschaft. Sie werden also nicht in Panik verfallen, nur weil sie in München gegen den FC Bayern spielen. Die Frage wird sein: Ist Kopenhagen hinten stark genug? Weil schnell genug sind sie mit Sicherheit nicht, wenn sie auf Kingsley Coman oder Leroy Sané treffen.
Harry Kane gibt es ja auch noch. Wie finden Sie den als ehemaliger Top-Stürmer?
Ich muss den Hut vor ihm ziehen. Was er beim FC Bayern schon geleistet hat, wie schnell er sich integriert hat –nicht viele englische Spieler, die in der Heimat super waren, haben es auch geschafft, ihren Stempel im Ausland aufzudrücken. Klar, Bayern hat auch eine offensive Spielweise, die ihm hilft, zu vielen Chancen zu kommen. Aber Kane hat eine Treffsicherheit, die nicht zu überbieten ist. Nachdem Lewandowski gewechselt ist, habe ich mir gedacht, so eine Tormaschine finden sie nie mehr. Ich habe großen Respekt davor, wie geduldig Bayern war, wie viel Geld sie investiert haben und welchen Volltreffer sie mit Kane gelandet haben.
Auch mit seiner ruhigen Art kommt er in München gut an.
Auf dem Platz fällt er durch seine Klasse natürlich auf. Aber innerhalb der Mannschaft ist er einer von vielen. Er möchte nicht im Vordergrund stehen. Sehr viele große Spieler kommen zu einem Verein und schauen nur darauf, dass sie gut aussehen. Kane ist komplett anders. Bei Einzelkönnern wie Coman oder Sané stellt man sich manchmal die Frage: Spielen wir miteinander oder gegeneinander? Kane verkörpert das Gefühl, dass man nur gemeinsam stark ist. Er überträgt seinen Teamspirit auf seine Kollegen. Es ist schön zu sehen, dass es heutzutage noch solche Typen gibt.
Wie schätzen Sie als Ex-Dortmunder FCB-Trainer Thomas Tuchel ein?
Überall, wo er war, kam nie große Ruhe auf. Man muss schauen, wie das in München weitergehen wird. Diese Beziehung kann schnell wieder vorbei sein. Sie kann aber auch – und das hoffe ich für ihn und den Verein – über Jahre hinweg gutgehen. Ich weiß, dass er oft die Zielscheibe für Kritik ist. Er muss wissen, wie man damit richtig umgeht, um nicht den Erfolg zu gefährden.
Bayern ist schon fix fürs Achtelfinale qualifiziert. Hofft Kopenhagen darauf, dass die Münchner Top-Stars schonen?
Mag sein, dass das hilft. Ich glaube, es wäre etwas ausgeglichener, wenn die Bayern rotieren. Aber sie dürfen Kopenhagen nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn so wird es nichts werden mit einem Sieg. Die Kopenhagen-Spieler wachsen über sich hinaus. Sie wollen sich natürlich auch auf der großen Bühne präsentieren. Sie haben schon im Hinspiel bewiesen, dass sie mithalten können.
Auf wen muss Bayern besonders aufpassen?
Angreifer Achouri ist sehr trickreich und schnell. Der kann für individuelle Glanzmomente sorgen. Der Antreiber im Mittelfeld ist Falk. Er ist dafür verantwortlich, wie die Bälle verteilt werden. Und dann müssen die Dänen darauf hoffen, dass Torhüter Grabara, der nach der Saison zu Wolfsburg wechselt, wieder einen Sahnetag hat.
Welche Schwachstelle sehen Sie beim FC Bayern?
Insgesamt haben sie eine starke Mannschaft. Sie wollen immer dominant sein. Wenn sie dabei aber vergessen, die Räume hinten zuzumachen oder zu sehr damit beschäftigt sind, Tore nachzulegen und ungeduldig werden, können sie sich auch einen Konter einfangen. Kopenhagen hofft darauf, dass die Bayern offen sind für Konter.
Bei einem Sieg wäre die Chance aufs Achtelfinale für Kopenhagen riesig.
Natürlich würden sie sich wünschen, auch in München eine Überraschung landen zu können. Aber sie hoffen eher darauf, dass sie das letzte Heimspiel der Gruppenphase gegen Galatasaray für sich entscheiden können, damit sie im Frühjahr als Dritter mindestens in der Europa League spielen können. Das ist das große Ziel, das alle vor Augen haben.
Interview: Philipp Kessler