50 Jahre und noch lange nicht Schluss

von Redaktion

Anne Heinzl (76) ist eine Trainer-Ikone im Münchner Behindertensport – sie wollte aufhören, doch sie kann es nicht

München – Sie habe noch überhaupt nicht nachgezählt, erzählt Anne Heinzl, wie viele paralympische Medaillen und Erfolge denn nun auf ihr Konto gehen. Aber es seien schon einige, im Laufe ihrer Karriere als Trainerin, sagt Heinzl, und beginnt sich zu erinnern: 1980 in Arnheim, als die Paralympics noch Weltspiele hießen, in New York 1984, oder während der goldenen Ära in denen 90ern und den frühen 2000ern, als ihre Schützlinge im Biathlon der Konkurrenz nur so davon sprinteten.

Die 76-Jährige kennt noch jedes Detail, von den Zugfahrten zu Wettkämpfen, den lauten Stadien bei Weltmeisterschaften, den Herausforderungen und Widrigkeiten. Es ist das Erbe einer fast 50-jährigen Trainerinnenkarriere.

Auf den ersten Blick ist heute nur noch wenig übrig von diesen großen Erfolgen, vom Glanz der Weltspitze, an diesem Samstagmorgen am Rande der Tartanbahn des PSV München, etwas nördlich vom Botanischen Garten. Wer Anne Heinzl treffen will, erwischt sie dort, natürlich, beim Training. Nebenan wird Fußball gespielt, kaum jemand nimmt die etwa zehn jungen Sportlerinnen und Sportler mit und ohne Behinderung wahr, die hier Woche um Woche zusammenkommen. Sie stehen in einem Kreis, unter ihnen Anne Heinzl, sie erklärt ihren Plan für die heutige Einheit. Sprints stehen auf dem Programm, drei Mal 200 Meter, „aber nur mit 70 Prozent.“ Es ist kalt um diese Zeit, das Verletzungsrisiko hoch.

Anne Heinzl ist eine kleine Frau, sie lacht viel, wenn sie sich erinnert, ihre blonden kurzen Haare fallen ihr ins Gesicht. Man merkt ihr ihre Sportkarriere an, die Jahre haben ihre Spuren hinterlassen. Geblieben ist der Ehrgeiz, ihre Anweisungen sind professionell, aber deutlich. „Es muss schon alles so funktionieren, wie ich das gerne hätte“, erzählt sie. „Spaß muss sein, logisch. Aber ich habe schon den Ehrgeiz, dass die Sportler möglichst erfolgreich werden.“ Ein bisschen ruhiger sei sie geworden über die Jahre.

Angefangen hat hier alles Anfang der 70er-Jahre, an einer Blindenschule gegenüber vom Trainingsgelände des PSV München. Dort trat Heinzl eine Stelle als Lehrerin an, kurz nach ihrem Sportstudium, eine Freundin hatte sie angeworben. „Ich fühlte mich gar nicht so richtig geeignet dafür“, erinnert sich Heinzl heute. Als Leichtathletin „ohne große Erfolge“ habe sie versucht, „alles in meine Schüler, die blind waren, zu stecken“, allen voran ihr Herzblut. In den folgenden Jahren formte Heinzl Weltkarrieren, etwa die von Willi Brem oder Verena Bentele. Allein Bentele gewann zwischen 1998 und 2010 zwölf Mal paralympisches Gold.

Viel gekämpft hat Heinzl in all den Jahren, viel investiert für den Erfolg ihrer Sportlerinnen und Sportler. Leichtathletik im Sommer, Skilanglauf im Winter, bei Wettkämpfen schlief man in Turnhallen, bis die ersten Sponsorings kamen, eingetrieben von Anne Heinzl. Ein Leben für den Para-Sport. Schon 2006 erhielt sie den Bayerischen Sportpreis für ihr Lebenswerk. „Da muss ich immer lachen, wenn ich daran denke. Das ist ja jetzt auch schon wieder 17 Jahre her.“

Eigentlich habe sie ja „schon längst“ aufhören wollen, erzählt Heinzl, die Erinnerungen und die Freundschaften zu ihren alten Schützlingen seien aber stärker gewesen. „Das ist mein Leben gewesen“, sagt sie, „da kann man nicht aufhören“. Es sind die großen Geschichten, der Hauch der Weltspitze, der Heinzl umgibt, wenn sie sich erinnert und den sie mit ins Training bringt, auf die Tartanbahn, jeden Samstag, auch heute noch, nach fast 50 Jahren. LENNART GLASER

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