„Die Soldaten inspirieren uns“

von Redaktion

Die ukrainische Fußballerin Nicole Kozlova über den Sport in Kriegszeiten

In der vergangenen Saison hat Nicole Kozlova noch für den dänischen Top-Verein HB Køge gespielt. Doch Kozlova wollte zurück in die Ukraine, trotz oder gerade wegen des andauernden Kriegs in ihrer Heimat. Nun spielt die 23-jährige Nationalstürmerin für den FC Vorskla Poltava – am Sonntag gewann der Verein den ukrainischen Pokal – und spricht mit unserer Zeitung über Spieltage im Luftschutzbunker, Soldaten als Inspiration und Wünsche für die Zukunft.

Nicole Kozlova, als der Krieg begonnen hat, waren Sie in Dänemark. Was war das für eine Situation für Sie?

Es war eine verrückte Situation. Am Tag, bevor der Krieg gestartet ist, war ich noch mit der Nationalmannschaft in der Türkei unterwegs. Ungefähr die Hälfte unserer Mannschaft ist dann wieder in die Ukraine zurückgereist. Als ich am nächsten Morgen in Dänemark aufgewacht bin, ist mein Handy förmlich explodiert vor lauter Nachrichten. Ich habe sofort meinem Vater geschrieben und gefragt, wie die Lage ist. Es war einfach chaotisch. Ich musste erst mal herausfinden, ob es all meinen Verwandten und meinen Nationalmannschaftskolleginnen gut geht. Viele kommen aus Charkiw, eine wunderschöne Stadt, die so sehr zerstört wurde. Ich war einfach nur schockiert. Es hat sich zuerst gar nicht real angefühlt. Und dann mit einem Schlag doch so real. Ich war wie betäubt.

Wie schaffen Sie es, sich aktuell auf Fußball zu konzentrieren?

Auch in dieser harten Zeit geht das Leben in der Ukraine weiter und die Menschen versuchen, hier irgendwie einen Alltag zu haben. Wir haben unsere Soldaten an der Front – und wir müssen unseren Part erfüllen. Wir müssen weiter Fußball spielen, das ist unser Job, unsere Karriere, unser Leben. Frauen-Fußball muss sich weiter entwickeln, weiter wachsen, ich will hier meinen Teil dazu beitragen. Gerade jetzt wollte ich wieder zu Hause sein. Ich wurde oft gefragt: Hast du denn gar keine Angst? Die Frage kannst du allen Ukrainern stellen. Natürlich gibt es diese Momente, die grausam sind. Wenn du einen Anruf bekommst und erfährst, dass eine Rakete genau in der Region eingeschlagen ist, in der deine Familie lebt. Aber die meiste Zeit leben wir nicht ängstlich, wir stehen zusammen.

Gewöhnt man sich an den Krieg?

Eine verrückte Sache ist, wie normal alles geworden ist. Wir haben uns an den Luftalarm gewöhnt, an die Explosionen, ständig neue Nachrichten. Manche Tage sind härter als andere. Aber wir alle lieben diesen Sport. In den 90 Minuten auf dem Feld können wir zumindest teilweise ausblenden, was gerade auf der Welt passiert. Das sind unsere 90 Minuten, die lassen wir uns nicht nehmen. Aber natürlich vergessen wir nie, was in unserem Heimatland passiert. Zuletzt gab es Schneefall beim Training, uns war allen ziemlich kalt. Wir haben uns gedacht: Wie kalt muss das jetzt für unsere Soldaten sein, die an der Front kämpfen?

Wie sieht ein Spieltag in der Ukraine aus?

Jeder Spieltag ist anders. Sobald es einen Luftalarm gibt, können wir nicht mehr spielen. Der Alarm kann kann 45 Minuten dauern, er kann aber auch vier Stunden dauern. Wir sitzen dann im Luftschutzbunker und warten, ob und wann wir wieder rauskönnen. Wir hatten auch schon mal drei Alarme während des Spiels, da ging es nicht mehr 90 Minuten, sondern vier Stunden. Da waren wir dann den ganzen Tag im Stadion. Das ist anstrengend für den Körper, wenn du dich immer wieder neu warm machen musst. Und mental ist es brutal, weil du weißt, dass jederzeit wieder dieser Alarm ertönen kann.

Sie spielen auch für die Nationalmannschaft. Wie wichtig sind diese internationalen Auftritte?

Es war schon immer besonders, unser Land international zu repräsentieren. Das bedeutet uns enorm viel. Durch den Krieg hat sich das Gefühl natürlich noch mal verstärkt. Jedes Mal, wenn wir zusammen die Nationalhymne singen, ist das so emotional. Viele von uns haben die Einstellung: Okay, unsere Soldaten kämpfen an der Front, und wir kämpfen auf dem Fußballplatz. Wenn wir keine Energie mehr haben, denken wir daran, was unsere Soldaten gerade durchmachen. Wir wollen zeigen, wie stark die Ukraine ist.

Es gab und gibt Überlegungen der UEFA, russische Juniorenteams wieder am Spielbetrieb teilnehmen zu lassen.

Da gibt es für mich keine Diskussion. Russische Teams und Athleten haben im Sport nichts zu suchen. Fertig.

Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft?

Der Krieg soll einfach aufhören. Wir wissen leider nicht, wann das passieren wird. Je schneller desto besser. Es wird ein harter Winter, in vielen Haushalten gibt es keinen Strom. Ich hoffe, dass die Welt uns weiter unterstützt. So hart wir auch kämpfen, wir können das nicht alleine tun.

Interview: Nico-Marius Schmitz

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