Frankfurt/Swansea – Kann im Liberty Stadium von Swansea wirklich noch etwas schiefgehen? Die deutschen Fußballerinnen benötigen im letzten Nations-League-Spiel in Wales (Dienstag 19.30 Uhr/sportschau.de) bloß einen Sieg, um Teil eins der Mission unter Horst Hrubesch zu erfüllen. Zwar sagt der Interimstrainer, die finale Aufgabe des Jahres sei „eines der schwersten Spiele“, aber der 72-Jährige weiß, dass der im Hinspiel in Sinsheim mit 1:5 unterlegene Gruppenletzte eigentlich kein Stolperstein zum Gruppensieg mehr sein dürfte.
Wichtig, dass Hrubesch parallel mit seinen Personalmaßnahmen den Weg in die Zukunft gewiesen hat, wenn Ende Februar das Finalturnier mit vier Teams um die zwei freien europäischen Olympia-Startplätze steigt. Heimlich, still und leise hat der Nothelfer die verkrusteten Hierarchien bei den DFB-Frauen aufgebrochen, die es jetzt selbst in der Hand haben, 2024 im Zeichen der Ringe anzutreten.
Am Freitag gegen Dänemark (3:0) brillierte im ausverkauften Rostocker Ostseestadion bereits das Mittelfeld von morgen. Sjoeke Nüsken (22 Jahre), Sydney Lohmann (23) und die zur Pause eingewechselten Elisa Senß (26) verdienten sich im „Maschinenraum“ allesamt Bestnoten. Das strategische Geschick von Nüsken und die dynamischen Tiefenläufe von Lohmann waren Zutaten, die den DFB-Frauen bei der WM in Australien gefehlt hatten.
„Wir zeigen, was wir jetzt können – was wir immer mal wieder aufblitzen lassen haben, aber nie konstant halten konnten“, erläuterte Lohmann, die über sich selbst sagte: „Dynamik und Wucht zeichnen mich aus. Ich bin froh, dass ich mal wieder 90 Minuten spielen konnte.“ Dass die Abstimmung mit Nüsken so gut funktionierte, sei kein Zufall gewesen: „Sie ist eine überragende Spielerin. Sie kann Räume abdecken und den Ball gut halten.“ Die spielintelligente Legionärin vom FC Chelsea und die rastlose Dampfmacherin vom FC Bayern ergänzten sich perfekt.
Und dann war ja noch Newcomerin Senß, die über ihr überraschendes Debüt sagte: „Ich habe mich direkt auf dem Platz sehr sicher gefühlt, weil ich ein starkes Kollektiv um mich herum hatte. Ich wusste, dass wir das Spiel rocken werden.“ Sie habe lange dafür gearbeitet, um Nationalspielerin zu werden, verriet die Mittelfeldspielerin von Bayer Leverkusen, die früher bei der SGS Essen noch als Krankenschwester am Uniklinikum arbeitete. Nun schwärmte das Fußball-Idol Hrubesch von ihr: „Sie hat auch diesen Charakter, diesen Willen. Und sie hat die Qualität.“
Seine Vorgängerin Martina Voss-Tecklenburg hatte viel zu lange Lena Oberdorf, Lina Magull und Sara Däbritz einen EM-Bonus eingeräumt. Niemand aus diesem Trio habe mehr einen Platz sicher, deutete Hrubesch an, als er über seine Neubesetzung sagte: „An denen vorbeizukommen, da werden sich einige strecken müssen.“ Auch die offiziell wegen Rückenschmerzen fehlende und seit Monaten im Formtief hängende Oberdorf dürfte die Ansage gehört haben. Obwohl der 72-Jährige stets zum Siegen verdammt war, ist die dringend erforderliche Blutauffrischung gelungen. Es zählen nicht mehr die Verdienste der Vergangenheit: In den letzten beiden Heimspielen wurde beispielsweise Däbritz jeweils zur Pause ausgewechselt, weil der 103-fachen Nationalspielerin wenig gelang. Gegen die Anwendung des Leistungsprinzips kann niemand Einwände haben. Kapitänin Alexandra Popp erklärte, Hrubesch vermittele einfach ein Vertrauen „durch die Bank weg: Also nicht nur irgendwie eins bis elf, sondern alle.“ Die Folgen: Der Teamgedanke lebt wieder.
FRANK HELLMANN