München – „Ich bin einfach zu schwach, also muss ich mehr Muskeln aufbauen.“ Es war ein überraschend ehrliches Statement, von Johannes Thingnes Bö während des Weltcupauftakts in Östersund. Außerhalb der Staffeln erreichte der Norweger dort die Plätze 3, 18 und 15. Der vierfache Gesamtweltcupsieger und Überflieger der vergangenen Saison erklärte im norwegischen Sender NRK auch, warum er mehr Muskeln brauche. „Früher konnte man ohne viel Kraft im Oberkörper auf den Skiern fliegen. Ich glaube, jetzt ist das nicht mehr der Fall“, sagte der 30-jährige in Bezug auf das zu dieser Saison in Kraft getretene Verbot von Fluor im Skiwachs.
Nachgehakt bei Andreas Birnbacher: Der 42-jährige Chiemgauer hat seine Karriere zwar schon ein paar Jahre beendet, aber sich als Trainer des deutschen Nachwuchsfrauen mit den Auswirkungen des Verbots beschäftigt. „Ich würde nicht grundsätzlich sagen, dass es armlastiger wird, wenn der Ski langsamer ist“, hält Birnbacher fest. Natürlich sei es individuell abhängig, wo der Athlet Stärken habe und ob er mehr aus den Armen oder Beinen laufe, aber: „Das Training fand ja auch die letzten Jahre schon auf fluorfreiem Wachs statt. Das kennt man schon.“
Minimale Unterschiede gäbe es womöglich in der Art der benötigten Kraft, erklärt Birnbacher weiter: „Früher war die Maximalkraft vielleicht einen Tickenmehr gefragt: Den Ski nach einem hohen Impuls laufen lassen. Jetzt vielleicht minimal die Kraftausdauer, da schneller der nächste Impuls kommen muss. Aber das gilt genauso auch für die Beine.“
Außerdem verweist der Massenstartweltcupsieger von 2012 auf die vergangenen Saisons: „Da gab es auch Rennen, bei warmen Bedingungen, tiefem und, weichem Schnee, wo der Ski mit Sicherheit nicht so gelaufen ist wie jetzt in Östersund. Trotzdem war Bö dort der Schnellste.“ Ein Beispiel ist der Massenstart von Ruhpolding vergangenen Januar. Auch in der Nacht hatte es Plus-Grade gehabt. Bö gewann und knöpfte dem zweitschnellsten Läufer Benedikt Doll auf der Strecke 22 Sekunden ab. Diese Dominanz zeigt er aktuell nicht – allerdings verliert er auf den bisher schnellsten Läufer Sebastian Samuelsson (Schweden) durchschnittlich nur 0,9 Sekunden pro Kilometer. Das ist beispielsweise immer noch besser als der Schnitt von Philipp Nawrath (1,8).
Dass der mit nun 30 Jahren seinen ersten Weltcupsieg holte, überrascht Birnbacher übrigens nicht. Er selbst hatte seinen Premierensieg auch mit 29 eingefahren. „29, 30, 31 Jahre, das ist durchschnittlich das beste Alter für einen Biathleten“, sagt er – nicht nur ein Gefühl, sondern auch das Ergebnis einer Erhebung, die er während seiner Zeit an der Sporthochschule Köln anstellte. THOMAS JENSEN