Frankfurt – Zumindest eine kleine Lernkurve im Crash-Kurs „Richtiger Umgang mit einer Niederlage“ ist beim FC Bayern zu erkennen. Denn am Samstag, um 17.24 Uhr, traute sich niemand, den direkten Weg in die Kabine zu nehmen. Geschlossen gingen die Spieler des Rekordmeisters nach dem Debakel von Frankfurt in die Gästekurve und ließen sich besingen. „Das ist selbstverständlich“, sagte Thomas Müller und ergänzte mit Blick auf das kollektive Wegducken nach dem Pokal-Aus von Saarbrücken: „Den Fehler haben wir nur einmal gemacht.“ Ein anderer hingegen wiederholte sich nach der schmerzhaften ersten Liga-Pleite der Saison. Also: bei allen – außer Müller.
Denn der 34-Jährige war zwar erst in der 66. Minute – also beim Stand von 5:1 – eingewechselt worden. Und trotzdem war er später derjenige, der die Niederlage an diversen Mikrofonen erklären musste. Müller, eigentlich unschuldig, hielt als Prellbock her, als „Last Man Standing“, weil alle anderen entweder mit sich selbst beschäftigt waren oder aber „nicht die allergrößte Lust haben, das heute zu erklären“. So rechtfertigte Trainer Thomas Tuchel den Fakt, dass sich neben Müller kein einziger Spieler stellte und die Mixed Zone gleich gar keinen Bayern-Profi zu Gesicht bekam. Ohnehin sei es ja „wichtiger, die Antwort auf dem Platz zu geben, als heute noch im Interview zu glänzen“. Das tat nur Müller.
Der Weltmeister, wieder nur Ergänzungsspieler, musste diesmal immerhin nicht über seine eigene Rolle sprechen. Dafür aber ging es ums große Ganze. Müller setzte Schlagworte wie „Wutmotor anwerfen“ und „zurückschlagen“, er war aber bemüht, die Kritik aus allen Richtungen abzufedern. Selbst als bei „Sat.1“ die Frage aufkam, ob ihn das Amt als Klassensprecher nerve, ließ er sich nicht locken. „Das gehört zu meinem Job dazu“, sagte Müller – und verglich seine Situation am Mikrofon mit der „eines Elfmeterschützen, der sehr sicher verwandelt“. Auch der werde ja „an den Punkt geschickt. Und ich bin, was Interviews betrifft, mit Manuel Neuer der Erfahrenste hier“. Es wäre halt nicht „allzu clever, wenn die 19-Jährigen sich jetzt hier hinstellen und sich vielleicht auch aufs Glatteis führen lassen“.
In Frankfurt allerdings machten nicht nur die Jungspunde, sondern auch die alten Hasen einen Bogen um alle Mikrofone. Kein Wort von Kapitän Manuel Neuer, keines von Joshua Kimmich; auch Leon Goretzka äußerte sich erst beim Auftritt im „Aktuellen Sportstudio“, der vorab vereinbart war. Am Ende gab es genug Aussagen zur misslungenen Dienstreise, das war nicht das Problem. Vielmehr sprach all das, was vor der Abfahrt des Busses passierte, Bände. Alle suchten das Weite – und Müller war noch nicht geduscht.
Irgendwann wird er kommen, der Moment, in dem es ohne ihn gehen muss. Zwar bemühen sich die Verantwortlichen, eine Verlängerung des auslaufenden Vertrages noch vor Weihnachten verkünden zu können. Spätestens bis 2025 aber müssen sich andere Wortführer finden – auf und neben dem Platz. Goretzka gab sich im ZDF immerhin selbstkritisch und sagte: „Ich habe es nicht geschafft, das Spiel so ein bisschen an mich zu reißen und Sicherheit zu geben.“ Tuchel wich der Frage nach dem Mangel an Führungspersönlichkeiten lieber aus: „Ich weiß nicht, ob das ein Führungsthema ist.“ Ein Thema aber ist es, auch intern. Zusammenstehen vor der Kurve ist schön – aber nicht alles.