München – Der FC Bayern will sich im Januar verstärken. Kein leichtes Unterfangen, wie Michael Reschke (66) weiß. Der langjährige Bundesliga-Manager (Bayern, Leverkusen, Stuttgart, Schalke) und aktuelle Europa-Chef der mächtigen Berateragentur CAA Stellar sprach mit unserer Zeitung über die Tücken des Wintertransfermarkts.
Herr Reschke, es heißt, wer im Wintertransferfenster nachlegen muss, hat im Sommer seine Hausaufgaben nicht gemacht. Stimmen Sie zu?
Auf gar keinen Fall. Das ist viel zu plakativ und definitiv nicht pauschalisierbar. Keiner hat im Sommer die Gewissheit, dass jeder Transfer einschlägt, alle Leistungsträger verletzungsfrei bleiben oder veränderte Umstände ein Winter-Agieren zwingend notwendig machen. Wenn man alles im Vorhinein sicher weiß, ist man Hellseher und die sind dünn gesät. Natürlich beruhen Wintertransfers in der Regel auf Notsituationen und der massiven Gefährdung sportlicher Ziele. Aber es gibt auch andere Szenarien, in denen Handeln im Januar unabhängig von Problemen echt Sinn macht.
Wann zum Beispiel?
Wenn der Vertrag eines absoluten Wunschspielers im Sommer ausläuft, der abgebende Club nur noch im Winter einen Transfergewinn erwirtschaften kann und deshalb bereit ist, eben diesen Akteur zu verkaufen. Dann kann man einem möglichen Hamsterrennen um den im Sommer vertragsfreien Spieler aus dem Weg gehen. Wintereinkäufe haben natürlich eine wichtige wirtschaftliche Komponente, weil sie im Saison-Etatplan nicht budgetiert wurden und sind deshalb auch immer ein Spezialthema mit den Finanzverantwortlichen. Wenn Winter-Neuzugänge dann aber die sportliche Qualität entscheidend verbessern, tragen sie dazu bei, Ziele zu erreichen und haben somit auch finanziell einen deutlichen Mehrwert. Eines kann ich dennoch aus eigener Erfahrung sagen: Kein Club und kein Verantwortlicher wird im Winter gerne auf dem Transfermarkt aktiv.
Warum?
Natürlich sind Wintertransfers Beleg dafür, dass es sportlich nicht rund läuft, aber es gibt überdies auch persönliche Gründe. Als Bundesliga-Manager stehst du fast das ganze Jahr über unter Strom. Die Winterpause ist die Zeit, in der man für die Familie und sich ein bisschen Ruhe haben möchte. Wenn man dringend im Winter nachlegen muss, wird’s in der Regel sehr zäh und kompliziert – und selbst an Heiligabend kann man kaum abschalten. Man hat für eine Position einen Wunschkandidaten, aber dessen Club weiß um die Not, stellt sehr hohe Transferforderungen und verweist in der Regel zudem darauf, dass man selbst eine sinnvolle Alternative verpflichten muss. Das haben die Bayern ja schon im Sommer mit dem FC Fulham und Palhinha erlebt. Also muss man neben der Wunschlösung auch Alternativen vorbereiten und verbal mächtig jonglieren bei Gesprächen mit möglichen Kandidaten, ihren Clubs und den Beratern. Das kostet reichlich Körner. Und dann hat man noch einen fordernden Trainer im Nacken, der zum Trainingsstart im Januar Klarheit haben möchte. Und die Jungs sind oft sehr unruhig.
So geht es dem FC Bayern aktuell, der noch keinen neuen Verteidiger hat. Die Suche gestaltet sich äußerst schwierig.
Wer als Club einen Bayern-Wunschspieler unter Vertrag hat, weiß natürlich um die schwierige Situation der Münchner und auch um ihre Finanzstärke. Der FC Bayern will ja keine Bratwürste, keinen Ergänzungsspieler vom Ergänzungsspieler, sondern Profis mit Qualität in der K.o.-Phase der Champions League bestehen zu können. Und diese Situation treibt die Ablösesummen. Vermutlich verhandeln die Bayern aktuell mit mehreren Kandidaten und sie müssen Entwicklungen bei anderen Clubs immer im Auge behalten. Das kann extrem zäh werden und nerven ohne Ende. Als Manager muss man dann hasardieren, Löcher stopfen und jeden Tag auf veränderte Situationen reagieren können.
Verstehen Sie, dass Trainer Thomas Tuchel seit Monaten auf die aus seiner Sicht geringe Kadergröße hinweist?
Wenn wir das Pokal-Aus und die Niederlage in Frankfurt beiseite schieben, sind die Bayern bislang sehr gut durch die Hinrunde gekommen. Aber Fakt ist: In der Rückrunde entscheiden sich die Meisterfrage und die für Bayern extrem wichtigen K.o.-Runden der Champions League. Die Kadergröße der Münchner ist für ganz hohe Ansprüche auf Kante genäht. Wenn zwei, drei Schlüsselspieler ausfallen, wird es extrem problematisch, eigentlich kaum lösbar. Hinzu kommt im Januar die Problematik mit den Abstellungen für den Afrika- und Asien-Cup. Ich bin überzeugt, dass die Bayern Verstärkungen bzw. echte Alternativen im Winter suchen und erwarte mindestens zwei Transfers.
Uli Hoeneß sagte vor Kurzem: „Unser Trainer kriegt alles, was notwendig ist.“
Dann haben Tuchel und Freund ja den Segen von ganz oben. Dabei muss nicht jeder Transfer spektakulär sein. Auch Spieler, die helfen, die Balance zu halten und wichtig für die Tiefe des Kaders sind, können bedeutsam sein. Profis, die gutes Bundesliga-Niveau besitzen, gleichzeitig auch in der Champions League ihren Mann stehen können und so helfen, Verletzte zu ersetzen und Stammspielern nötige Pausen zu geben. Der Idealfall ist natürlich eine Topverstärkung im Wintertransferfenster. Ich erwarte aber eher keinen Mega-Transfer mit Wow-Effekt und gewiss auch keine Verpflichtung eines Perspektivspielers.
Gefühlt haben Winter-Transfers eine hohe Flop-Gefahr. Beim FC Bayern denken Fans dabei sofort an Breno oder Landon Donovan. Auch Serdar Tasci, für dessen Transfer Sie entscheidend verantwortlich waren, wird oft genannt. Wie kam es dazu?
Ende Januar 2016 waren mit Martinez, Boateng und Benatia drei Innenverteidiger verletzt und Badstuber war ebenfalls nicht topfit. Also vier Innenverteidiger mit Fragezeichen. Sie sollten zwar teilweise recht schnell wieder zurückkommen, aber es gab Unsicherheiten. Tascis Rolle war in der Tat der Backup für den Backup und ich kann Ihnen versichern, diese Leihe war nicht kostenintensiv. Wir waren sogar froh, dass wir ihn nicht so oft brauchten – dabei besaß er definitiv Bundesliga-Niveau. Man muss einfach den Zusammenhang sehen.
Aber es gab auch sehr gute Wintertransfers von Ihnen als Bundesliga-Manager.
Beim VfB Stuttgart haben wir im Januar 2018 Mario Gomez zurückgeholt. Wir hatten zum Abschluss der Hinrunde einen absoluten Negativlauf und sind in die Abstiegszone gerutscht. Vieles funktionierte, aber uns fehlte einfach ein Torjäger. Mario hat dann in 16 Ligaspielen acht Tore und zwei Vorlagen beigesteuert, wir wurden Rückrunden-Zweiter und landeten als Aufsteiger am Ende der Saison auf Platz sieben. Natürlich war dies nicht nur Marios Verdienst, aber er war das entscheidende Puzzleteil, das das gesamte Gebilde stabilisiert hat. In Leverkusen haben wir in der Saison 2010/2011 eine ähnliche Erfahrung gemacht.
Erzählen Sie, bitte.
Wir hatten ein interessantes, junges Team, aber keinen funktionierenden rechten Verteidiger und waren deshalb defensiv nicht stabil. Wir haben dann mit Vedran Corluka einen erfahrenen Abwehrspieler von Tottenham ausgeliehen. Spurs-Chef Daniel Levy war übrigens damals schon ein zäher Verhandler und die Leihe ging erst am 31. Januar über die Bühne. Vom ersten Moment an hat Corluka agiert, als hätte er nie etwas anderes gemacht, als bei uns rechter Verteidiger zu spielen. Wir sind am Saisonende Fünfter geworden und haben uns für den UEFA Cup qualifiziert. Corluka hat zwar nicht brillant gespielt, aber er hat unserer Abwehr wichtige Sicherheit gegeben.
Interview: Philipp Kessler