„Du musst der Boss auf der Bühne sein“

von Redaktion

DARTS Schiri-Legende Russ Bray schreit noch mal im Ally Pally, dann beendet er seine Karriere

Russ Bray ist die (rauchige) Stimme des Darts. Seit 1996 arbeitet er für die PDC (Professional Darts Corporation) als Caller, war bei den legendärsten Momenten auf der Bühne dabei. Nun heißt es noch einmal Ally Pally für den 66-Jährigen, nach dem Finale beendet Bray seine Karriere. Unser Abschieds-Interview mit „The Voice“.

Russ Bray, Ihre letzte Weltmeisterschaft als Caller, sind Sie da nervöser als in den Jahren zuvor?

Ich bin weit davon entfernt, nervös zu sein. Dafür habe ich das Ganze zu oft gemacht (lacht). Aber ich freue mich riesig darauf. Ich schließe ja nur ein Kapitel, nicht das ganze Buch. Danach warten noch großartige Sachen auf mich. Im Ally Pally werde ich auch weiterhin sein, es ist wie eine zweite Heimat, aber dann eben in anderer Rolle. Dann singe ich auch mit (lacht). Ally Pally bedeutet einfach Party-Time. Es ist die Zeit vor Weihnachten und Neujahr, die Leute sind lockerer drauf. Jeder weiß: Wenn ich in den Ally Pally gehe, werde ich Spaß haben. John McDonald ruft die Spieler auf, die Einlauflieder ertönen und spätestens dann spielt das Publikum verrückt. Ich sauge das alles auf, jede Emotion. Bis das Spiel losgeht, dann beginnt die Arbeit.

Wie hat sich der Dartssport im Verlauf Ihrer Karriere entwickelt?

Mitte der 90er hatten wir vielleicht 200, 300 Zuschauer da – während des gesamten Turniers. Jetzt sind es 5000, je Abend. Die PDC hat den Sport seit 2007 unter neuer Führung auf ein neues Level gehoben. Es ist nicht mehr nur ein Kneipensport, Darts ist für die ganze Familie zugänglich. Du kannst unseren Sport mittlerweile auf der ganzen Welt sehen, das TV-Angebot wird von Jahr zu Jahr ausgeweitet und es fließt immer mehr Geld von Sponsoren. Es ist unglaublich, wie sich das alles entwickelt hat. Alles ist größer und besser geworden.

Was fasziniert Sie am Darts?

Im Darts spielt Person gegen Person, es ist immer ein eins gegen eins. Das direkte Duell, vor tausenden singenden Fans, auf einer Bühne, auf der es aufgrund der Scheinwerfer so unheimlich heiß wird. Und dann musst du die Nerven behalten und die kleinen Pfeile in die kleinen Felder werden. Ist das nicht geil? Du kannst dich nicht selbst anlügen. Wenn du beim Darts verlierst, liegt es nur an dir. Und wenn du in diesem Hexenkessel gewinnst, fühlst du dich wie der Größte.

Und die Qualität des Spiels ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Es gibt keine Seriensieger mehr bei Turnieren.

Phil Taylor hat das Spiel über 20 Jahre dominiert, so was wird es nicht mehr geben. Sonst gab es zwei bis drei Favoriten auf den Titel, jetzt gibt es 15 bis 20. Die Qualität in der Breite ist schon brutal. Und dann gibt es immer noch eine Person, mit der niemand rechnet, die sich plötzlich ins Rampenlicht spielt. So war es ja auch mit Gabriel Clemens. Diese Bühne im Ally Pally ist magisch, es passieren immer verrückte Sachen. Diese WM wird der Wahnsinn.

Wie würden Sie Ihre Rolle auf der Bühne beschreiben?

Wenn jemand zu verrückt ist, zu wütend oder sich einfach nicht benehmen kann, musst du eingreifen. Der Schiedsrichter ist verantwortlich für die Bühne, für alles, was dort passiert. Auch wenn den Schreibern mal ein Fehler passiert, musst du aufpassen. Du trägst die Verantwortung dafür. Du musst der Boss auf der Bühne sein. Man muss das Spiel kontrollieren. Manche Spieler gehen einem auch schon mal auf die Nerven, auch das musst du aushalten (lacht). Du musst die Spieler kennen, wie reagiert er auf bestimmte Situationen? Du musst von den Spielern auch wissen, wie sie ihre Finishes spielen. Bei der 62 gehen die meisten Spieler über Triple-10 und Doppel-16. James Wade spielt aber über Triple-14 und Doppel-10. So was musst du wissen. Es geht nicht nur darum, Zahlen zu brüllen, es ist viel mehr als das.

Es gibt leidenschaftliche Spieler wie Gerwyn Price oder Michael van Gerwen. Mögen Sie es, wenn es Feuer zwischen den Spielern gibt?

Zu 100 Prozent. Egal wer gerade spielt, ich sehe gerne Leidenschaft bei den Menschen. Ja, wenn van Gerwen oder Price ein großartiges Finish haben, schreien sie ihre Freude raus. So ist es aber doch auch bei anderen Sportarten, Fußballer rennen nach Toren zu den Fans. Warum sollten sich Darts-Spieler also nicht auch freuen? Diese Emotionen wollen wir doch sehen. Van Gerwen und Price gehören zu den liebenswürdigsten Personen, die ich je kennengelernt habe. Auch wenn man das auf der Bühne manchmal nicht glaubt (lacht).

Ihre Ausrufe der Scores sind legendär. Stehen Sie manchmal auch im Supermarkt, sehen die Preise und murmeln die Zahlen in Ihrer Caller-Betonung?

(lacht) Ich liebe die Frage. Manche Zahlen verfolgen dich schon. Keith Deller ist einer meiner besten Freunde, 1983 ist er mit einem 138er-Finish Weltmeister geworden, bis heute bekannt als das Keith-Deller-Finish. Jahre später waren wir zusammen in einem Hotel in Deutschland, und haben Zimmer 138 zugewiesen bekommen. Da meinte Keith: Diese verdammte Zahl ist einfach überall (lacht). Oder wenn etwas 1,80 kostet, denke ich sofort an die 180.

Werden Sie auf der Straße oft erkannt?

Viele Leute sehen mich und rätseln, ist er das wirklich? Dann sage ich was und alle: Ja, das ist er! (lacht).

Interview: Nico-Marius Schmitz

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