So eine Auslosung zieht sich gerne lang wie ein Kaugummi, aber womöglich werden sie irgendwann vermisst werden. Denn im kommenden Jahr, wenn die Champions League im sogenannten „Schweizer Modell“ gespielt wird, werden Events wie diese Seltenheitswert haben. Die Königsklasse wird zu einer Art Liga mit 36 Clubs – und geht es in die K.o.-Runde, ist der Weg vom Achtelfinale bis ins Endspiel vorgegeben. Neben der am Wochenende beschlossenen Club-WM mit 32 Teams ab 2025 ein weiterer Irrsinn dieser Branche, deren Bosse nie genug haben. Also: Heuer zurücklehnen und genießen – dass alles so ist, wie man es seit Jahren kennt.
Gestern also wurde wieder gelost, mit viel Show um gerade mal 16 Kugeln. Und während RB Leipzig in Real Madrid ab Februar einen echten Hammer vor der Brust hat, ist es für den BVB (gegen Eindhoven) und den FC Bayern (Lazio Rom) vergleichsweise gut gelaufen. Es ist nur logisch, dass offiziell gewarnt wird, obwohl die formschwachen Italiener aktuell weder Angst noch Schrecken verbreiten. Aber weit vor all den „Nicht unterschätzen“-Aussagen, die da von der Säbener Straße gestern verbreitet wurden, hatte Herbert Hainer am Sonntag sowieso einen Satz gesprochen, der mehr wog. Nach dem 3:0 gegen Stuttgart sagte der Präsident: „Wenn wir das, was wir heute gezeigt haben, auf den Platz kriegen, brauchen wir vor keinem Gegner Angst zu haben.“
Die Frage, wo dieser FC Bayern vor dem Finale des Fußballjahres 2023 steht, war nach dem starken Auftritt im Bundesliga-Spitzenspiel nicht nur einmal gestellt worden. Ist das wahre Gesicht der Elf von Thomas Tuchel eher ein 1:5 in Frankfurt oder ein 3:0 gegen den VfB? Die Wahrheit liegt dazwischen – aber man darf die Leistung im letzten Heimspiel der Saison durchaus als Fortschritt bewerten. Denn es wurde deutlich, was möglich sein kann, wenn das Kollektiv die Eitelkeiten über Bord wirft, als Team agiert und bereit ist, sich zu zerreißen.
Flexibilität und Kreativität sind die Stichworte, die die Schwachstellen im Kader kompensieren können. Und sie werden es auch sein, wenn es im Frühjahr ans Eingemacht geht. Egal, wer im Winter noch kommen mag: Um auf der großen Bühne anders als in den vergangenen drei Jahren eine Rolle zu spielen, braucht es mehr als elf Einzelkönner. Die Vergangenheit lehrt, dass es nur in den Jahren, in denen dieser Club ganz bei sich war, Nebensache war, welche Kugel aus dem Lostopf gezogen wurde.
Hanna.Raif@ovb.net