Florian Leitgeb war vermutlich schon vor über 20 Jahren bei den BMW Open in München. Aber so ganz genau weiß der 31-Jährige das nicht mehr. Als Kind tourte der Österreicher mit seinem Vater Ronnie Leitgeb (62†) und dessen Schützling Thomas Muster (56), ehemals Nummer eins, durch die Tenniswelt. Nach dem plötzlichen Herztod seines berühmten Papas vor fast zwei Jahren übernahm Leitgeb die+* Familienfirma und ist ab 2025 Co-Lizenz-Halter am Aumeister. Durch seinen Einstieg – Leitgeb gibt dafür ein 250er-Event in Lyon auf – wird das Turnier auf der Anlage des MTTC Iphitos zur 500er-Kategorie hochgestuft.
Herr Leitgeb, Sie haben bisher kleine Challenger-Turniere in Österreich organisiert und hatten die Lyon-Lizenz verpachtet. Ist München der logische nächste Schritt?
Ja, aber ich muss ein bisschen ausholen, um das zu beantworten. Nach dem Tod meines Vaters haben alle aus Respekt vier Wochen gewartet, dann hat ständig das Telefon geläutet, weil mir alle die Lyon-Lizenz abkaufen wollten. Aber für mich war das kein Thema, mir war klar, dass ich das übernehmen muss, auch weil Tennis in unserer Familie so wahnsinnig verwurzelt ist. Und zu ihrer Frage: Challenger sind schön und machen auch Spaß, aber das große Tennis fängt halt drüber bei den 250ern an.
Wie kam der Kontakt nach München?
Ich habe Fabian Tross (Präsident des MTTC Iphitos, Anm. d. Red.) vor ein paar Jahren kennengelernt, damals gab es in München bereits die Bestrebungen zu wachsen. Ich war interessiert, dann gab es vor etwa einem Jahr die Vorgabe der ATP, den Kalender zu straffen und aus zwei 250er-Turnieren ein 500er zu erschaffen. Mitte November haben wir den gemeinsamen Vertrag unterschrieben.
Für wie lange?
Unendlich. Wir sind verheiratet und eine Scheidung ist für mich undenkbar, weil dann hätte ich gleich verkaufen können. Es ist mit Sicherheit ein sehr, sehr langes Projekt.
Gefühlt war es für die BMW Open die letzte Chance, größer zu werden und perspektivisch überhaupt auf dem umkämpften Markt zu bestehen. Sehen Sie das auch so?
So ein Turnier wie München hätte es aufgrund seiner 100-jährigen Tradition immer gegeben, aber die Chance jetzt musste man nutzen. Ich war letztes Jahr das erste Mal wissentlich beim Turnier, denn ich bin mir relativ sicher, dass ich irgendwann mit dem Thomas (Muster, d. Red.) als Kleinkind schon mal da war. Wenn man das Turnier sieht, muss es ein 500er sein, das hatte die ATP auch gesagt.
ATP-Chef ist Andrea Gaudenzi. Neben Muster der prominenteste Ex-Schützling Ihres Vaters. Wie ist die Verbindung?
Wir waren uns immer sehr nah und sind es noch. Ich bin ein Einzelkind, Thomas und Andrea, waren wie zwei großen Brüder für mich. Die haben bei uns im Haus gewohnt, wenn sie in Österreich waren. Aber: Business ist Business. Selbst wenn Andrea unbedingt gewollt hätte, dass München das Upgrade bekommt, es war eine Entscheidung des ATP-Board und da hat Andrea eine Stimme. Wir haben mit Qualität überzeugt und nicht durch persönliche Beziehungen.
Welche Rolle nehmen Sie in der neuen Konstellation ab 2025 genau ein?
Ich trete mit Fabian Tross als Lizenz-Inhaber auf. Wir sind mittendrin in einem Veranstalter-Pitch. Da ist die bisherige Agentur MMP dabei, aber auch andere, das ist völlig offen. Wir versuchen unser gemeinsames Turnier so gut und so groß zu machen, wie möglich. Ich will mithelfen, wo es geht.
Es stehen große Veränderungen bevor. Wie schwer ist es, mit einer Stimme zu sprechen?
Absolut. Aber zwischen Fabian und mir hat es von Tag eins an geklickt. Wir denken sehr ähnlich, wir sprechen die gleiche Sprache. Der einzige Unterschied ist: Fabian will das beste Turnier für den Club und ich will das beste Turnier für mich.
Sind Sie völlig gleichberechtigt?
Nein. Wir haben Punkte im Vertrag, wo wir 50:50 sind, aber natürlich hat der Iphitos eine größere Beteiligung aufgrund der Anlage.
Apropos: Was man schon weiß: Der vergrößerte Center Court (circa 5000 Zuschauer) bekommt einen neuen Standort…
Ja, im hinteren Teil der Anlage, das hat eine Machbarkeitsstudie ergeben. Der Plan ist, dass wir ab 2027 das neu gebaute Stadion haben. Bis dahin dürfen wir in der jetzigen Form weitermachen.
Sie haben in einem Interview erzählt, dass Ihr Reisetross um Muster überall „hofiert“ wurde. Aus heutiger Sicht: Ist das etwas Gutes?
Ich glaube, wir brauchen diese Gallionsfiguren, die weltbekannt sind, die man vermarkten kann. Auf der anderen Seite finde ich es schwierig, dass du als Nummer 250 der Welt nicht großartig davon leben kannst, wenn überhaupt. In Österreich sind wir stolz, dass wir im Skifahren so großartig sind. Aber wenn wir ehrlich sind, gibt es vielleicht vier Nationen, die professionell Skisport betreiben. Tennis wird in jedem Nest dieser Welt gespielt und jeder möchte Profi werden.
Nehmen wir Holger Rune. Er hat 2021 bei Ihrem Challenger in Tulln gespielt, 2024 ist einer der großen Stars in München. Verändert sich so jemand?
Nein, nur in der Außenwahrnehmung. Und irgendwann muss sich jemand dieser Kategorie ein bisschen abschirmen, sonst ist jeder dein bester Freund und will ein Stück von dir. Da musst du einen gewissen Panzer aufbauen, der dann oft in der Öffentlichkeit womöglich arrogant wirkt. Grundsätzlich mag ich Leute wie Rune, die aus sich herausgehen, mal einen echten Wutausbruch haben und an die Sache mit Herz und mit Passion herangehen.
Bekommt München bald noch mehr Stars seiner Klasse zu Gesicht?
Auf jeden Fall. Wir konkurrieren mit Barcelona, aber in dieser Woche meldet fast jeder Spieler. Das Spielerfeld wird noch besser.
Sie sprechen den Zeitpunkt Ende April an. Regenschirm, Handschuhe, Mütze, Skischuhe – Sie wissen, dass alles passieren kann?
Ich war letztes Jahr gegen Ende der Woche da, da war es schon frisch in der Früh, aber das Wetter können wir nie beeinflussen. In der Woche kann es genauso gut jeden Tag 28 Grad haben.
Wo es immer warm ist: Saudi-Arabien. Andrea Gaudenzi steht in Verhandlungen mit den Saudis über mehr Einfluss. Können Sie sich vorstellen, dass das gleiche passiert wie im Golf: eine eigene von Blutgeld triefende Saudi-Tour?
Ich hoffe nicht, dass es eine Paralleltour geben wird, weil ich glaube, dass es dem Golfsport mehr geschadet hat. Die Stars spielen dort nicht, weil die Plätze so schön sind, sonder wegen des Geldes. Zum Glück muss man sagen hat es die PGA geschafft, zu überleben, denn mein Gedanke wäre sonst: was passiert, wenn die Saudis in 20 Jahren keinen Bock mehr auf Golf haben? Gibt es dann einen Nullstart? Unabhängig davon ist das Land wegen seiner Menschenrechtslage bedenklich. Ich hoffe, dass sie ihre Ausbreitung im Sport zum Anlass nehmen, an dieser Kultur etwas zu ändern.
Es gibt ein Einladungsturnier in Saudi-Arabien, dass sich zuletzt die Crème de la Crème eingekauft hat und das in der sogenannten Offseason ausgetragen wurde, wo sich die malträtierten Körper schonen sollten. Was denkt man in der ATP darüber?
Dieses ganzen Exhibitions sind ein Riesenthema, aber wir sind froh, wenn sie außerhalb des Kalenders angesetzt sind. Denn kein Lizenz-Eigentümer will seine Spieler verlieren. Wenn den Stars die Punkte egal sind, weil sie sie nicht brauchen, stattdessen lieber für viel Geld in Saudi-Arabien auftreten, das wäre der Worst Case.
Was Exhibitions oft auszeichnet, ist ein modernisiertes Regelwerk. Sind Sie ein Freund oder Gegner davon?
Ich finde es hier und da lässig, aber nicht jede Woche auf der Tour. Ich sehe nicht, dass in München jeder Spieler drei Joker hat oder der nächste Punkt doppelt zählt. Ich glaube, der Sport muss nicht innovativer werden, aber das ganze Drumherum. Ein gutes Beispiel ist der Davis Cup. Ihn hat man mit Innovationen fast getötet.
Was schwebt Ihnen für die BMW Open vor?
Wir haben Bücher voller Ideen. Die Frage ist nur, was machbar ist. Ich habe jedenfalls Lust und suche mir auch gerade eine Wohnung in München. Ich will Teil der Community sein und nicht nur der Typ, der von außen kommt.
Alcaraz im Spielerfeld oder die Wohnung finden – was gelingt Ihnen eher?
(lacht) Sie machen mir jedenfalls wenig Hoffnung mit der Wohnung. Aber ich muss zugeben, dass mich die Preise etwas schockiert haben – also die auf dem Münchner Wohnungsmarkt.
Wir haben zu Beginn über den Tod Ihres Vaters gesprochen. Wundern Sie sich manchmal wie schnell wie viel seitdem passiert ist?
Ich habe mich schon in einer ähnlichen Rolle gesehen, aber sicher nicht in der kurzen Zeit. Vier Wochen nachdem das mit meinem Papa passiert ist, bin ich im Flieger gesessen nach Marbella, um dort das Turnier zu veranstalten. Darauf folgten meine Challenger-Events und der Davis Cup. Das heißt, das erste Jahr gibt es in meiner Wahrnehmung nicht, weil ich jede Sekunde nur dafür genützt habe, damit alles funktioniert.
Interview: Mathias Müller