München – Sie sind grundverschieden, und doch verbindet Maxi Kastner (EHC Red Bull) und Niels Giffey (FC Bayern Basketball) eine Gemeinsamkeit: Beide bestritten in diesem Jahr ein WM-Finale. Im kommenden Jahr beziehen beide das gleiche Domizil: den SAP-Garden, den Red Bull derzeit im Olympiapark baut.
Vergangenes Wochenende durften Sie sich bei der Gala der Sportler des Jahres zur Abwechslung beide zusammen noch einmal feiern lassen. Verleiht die Medaille noch Flügel?
Kastner: Speziell bei mir war nach der WM direkt Sommerpause. Ich habe ein paar Wochen gebraucht, um zu realisieren, was wir da erreicht haben. Aber ich habe drei Monate gehabt, um Abstand zu gewinnen. Mit Beginn der neuen Saison war das abgehakt. Es kam noch mal kurz hoch, zum Beispiel vor dem ersten Spiel in Berlin, wo jeder, der dabei war, einen Bären bekommen hat. Ansonsten war das eigentlich kein großes Thema mehr.
Bei Ihnen sah das anders aus, Herr Giffey…
Giffey: Das war ein fließender Übergang. Eine Woche Feierei und dann ging es auch schon wieder los. Diese Periode des aktiven Verarbeitens gab es bei mir nicht. Kastner: Es ist schon ein großer Unterschied, ob du nach solch einem Erfolg eine Woche oder einen ganzen Sommer zum Genießen hast. Wobei man bei uns sagen muss, dass man immer auch den kleinen Nadelstich dabei hat, das Finale verloren zu haben. Direkt nach dem Endspiel war ich schon sehr down. Da hast du nicht den Gedanken: ‘Hey, du hast als Deutscher Silber gewonnen. ‘Den hatte ich 20 Minuten später, als ich mit meinem Sohn telefoniert habe. Und er gesagt hat: „Hey, Du hast Silber gewonnen“. Und ich mir gedacht habe: „Hmm, stimmt.“ Der war damals drei, verrückt. Aber bei Euch war mit Gold ja eh Eskalation, Niels. Giffey: Auf jeden Fall war es eine gute Woche (lacht). Aber es stimmt schon. Du warst den ganzen Sommer zusammen. Und dann auf einmal geht es wieder los. Einige mussten in der Zeit auch noch einen Umzug stemmen. Da war die Eishockey-Variante schon die bessere. Umso schöner ist es, die Leute wiederzusehen.
Auf beiden Seiten ist auf dem Weg zu diesen Erfolgen etwas gelungen, was abseits des Fußballs undenkbar erschien. Mannschaften wurden entwickelt. Woran liegt das? An der Person der Trainer, die mehr pushen als die Vorgänger?
Giffey: Unser Trainer ist eigentlich kein Pusher. Er ist ein sehr smarter Mann. Er hat so eine Guru-Atmosphäre, die er ausstrahlt. Bei uns war es die Langfristigkeit, die geholfen hat. Viele von uns kennen sich sehr lange in den verschiedensten Kombinationen. Mit einigen von den Jungs habe ich jetzt zehn Jahre Nationalmannschaft gespielt. Das macht was aus. Und dann hat sich die Qualität unglaublich entwickelt. Vor ein paar Jahren hatten wir einfach nicht diese Breite an NBA- oder Euroleague-Spielern. Diese Kombination aus Konstanz und steigender Qualität hat viel bewirkt. Kastner: Das ist bei uns genau das Gleiche. Immer mehr Deutsche schaffen den Sprung in die NHL und setzen sich da auch durch. Das bringt natürlich Qualität, die du einfach brauchst. Aber die Breite ist generell viel größer geworden. Entscheidend bei uns war auch: Der Trainer und das gesamte Team hinter dem Team waren super. Unser Coach hat immer die richtigen Worte gefunden. Wir haben aggressiv gespielt, das wäre so vor ein paar Jahren nicht möglich gewesen. Es waren Spieler, die wollten. Und die es den Kritikern, die uns nichts zugetraut haben, zeigen wollten. Irgendwann ist dann ein Stein nach dem anderen ins Rollen gekommen.
Beide Teams waren keine Starensembles.
Giffey: Brauchst du auch nicht. Du brauchst eine funktionierende Einheit. Klar, ein gewisses Talent, skill level. brauchst du. Und auch das, was Maxi gerade gesagt hat. Dass du bereit bist, attraktiv und aggressiv zu spielen. Das sind Attribute, die man von deutschen Mannschaften sonst nicht so hört. Aber das brauchst du. Kastner: Und du darfst dir auch als Führungsspieler nicht zu schade sein, einen Schuss zu blocken. Etwas fürs Team zu tun. Das macht alles leichter.
Wie schwer ist es, als eingeschworenes Team zusammenzufinden, wenn man sich bis kurz vor dem Turnier noch massiv beharkt? Es gab Ihre berühmte Flugstunde für den Ingolstädter Wojciech Stachowiak und dessen Messer-am-Hals-Geste…
Kastner: (lacht) Klar, happy wird er nicht gewesen sein, dass ich ihn so zusammengefahren habe. Das hat er mich ja mit der Geste wissen lassen. Das verlorene DEL-Finale hat es sicher nicht besser gemacht. Aber wir haben uns kurz ausgesprochen, keiner von uns ist nachtragend, und dann war es auch okay.
Ein Effekt von solchen Erfolgen ist sicher auch, dass die heimischen Ligen profitieren. Dass Spieler kommen, die vor ein paar Jahren noch unerreichbar schienen. Oder auch Trainer wie Pablo Laso bei Ihnen, Herr Giffey. Merkt man das steigende Ansehen im sportlichen Alltag?
Giffey: Klar, das geht ein bisschen einher mit der Entwicklung der sportlichen Qualität. Die Qualität entwickelt sich, das Produkt, das wir anbieten, entwickelt sich. Auch beim Tabellenneunten spielen jetzt bessere Spieler. Das ist vielleicht auch ein deutsches Ding, dass Projekte sehr strukturiert angegangen werden während man woanders sehr viel Geld auf einmal in die Hand nimmt und die Dinge sich dann in Wellen entwickeln. Hier entwickeln sich die Vereine vielleicht langsamer, aber dafür stetig. Vielleicht bin ich zu philosophisch, aber ich kann mir auch vorstellen, dass die Pandemie eine Rolle gespielt hat. Wenn du Corona hattest, wenn die Finanzen enger werden, dann hat es eine gewisse Anziehungskraft, wenn du ein solides Produkt hast. Kastner: Bei uns speziell war es Olympia-Silber 2018, das der Liga Schwung gegeben hat. Mehr Ausländer, mehr US-Amerikaner und Kanadier wollen seither in unsere Liga. Wir werden dort jetzt mehr als Eishockey-Land wahrgenommen. Man sieht es auch an der Kontinuität. Die Verträge werden langfristiger, gerade die Deutschen werden lange gehalten.
Noch ein Effekt des Aufschwungs sind Musterprojekte, wie das, in dem wir hier sitzen. 2024 spielen Sie beide in einer der modernsten Hallen der Welt.
Kastner: Ja, man spürt deutlich, dass Red Bull etwas Besonderes entstehen lassen möchte. Die neue Halle wird ein Plus für München und Umgebung.
Auch wenn es noch weit weg ist. Gibt es schon Vorfreude?
Giffey: Ich freue mich darauf, total. Auch weil Fans eigentlich immer sehr enthusiastisch auf solche neuen Entwicklungen reagieren. Ich habe die Halle gerade ja zum ersten Mal von innen gesehen. Ich glaube, dass da eine schöne Atmosphäre entstehen kann. Und langfristig werden sicher auch internationale Events angezogen. Das Final-4 der Euroleague, oder vielleicht eine Eishockey-WM.
Sie haben ihre künstlerische Ader ja als Sprayer entwickelt. Wäre der Garden da nicht die passende Spielwiese?
Giffey: (lacht) Ich glaube, ich halte es lieber als Hobby. Aber vom Design her gefällt mir die Halle sehr gut. Sie geht nicht so in die Breite – ich glaube, da können die Fans sehr viel Druck ausüben. Sie sprechen die Steilheit an. Man hat das Maximum des Möglichen ausgereizt. Giffey: Ja, das merkt man.
Kastner: Das kann ein richtiger Hexenkessel werden. Je breiter es wird, desto schlechter wird normalerweise die Stimmung. Da verläuft es sich einfach.
Herr Kastner, Sie erleben einen starken Bruch vom alten Olympia-Eisstadion.
Kastner: … das natürlich einen eigenen Charme hat. Die Gegner kommen unter anderem auch deshalb nicht gerne zu uns, weil es einfach kalt ist. Giffey: (lacht) Ist das im Eishockey ein Thema? Kastner: Oh ja, vor allem in der Früh kann es schon sein, dass die Zehen einfrieren. Die gesamte Organisation hat sicher das Maximum ausgeschöpft. Kabine, Kraftraum, auch Licht und Lichtshow… mehr geht einfach nicht. Man merkt, dass es Zeit für etwas Neues ist. Wirklich jeder bei uns freut sich darauf. Ich habe schon gesagt, dass ich der Saunameister werde. Giffey: Wir haben ja zumindest noch die Spiele in der BBL im BMW Park. Das ist glaube ich ganz gut.
Zum Abschluss: Wer wird als erster in der neuen Heimat Meister?
Giffey: Wann endet die Eishockeysaison? Kastner: Im April… Giffey: Ok, dann haben wir schlechte Karten (lacht).
Interview: Patrick Reichelt