Der Anti-Guardiola

von Redaktion

Fernando Diniz predigt als Coach von Fluminense Rio die Anarchie – nun fordert er ManCitys Präzisionsfußball heraus

Barcelona – Der Fußball, sagte Fernando Diniz mal, behandele „einen großen Spieler wie einen großen Menschen“ und einen nicht so guten Spieler wie einen „minderwertigen Menschen“. Darunter habe er während seiner aktiven Karriere so gelitten, dass er acht Jahre lang Therapie gebraucht habe. Diniz studierte danach selbst Psychologie, und als er Trainer wurde, wollte er die Dinge anders machen.

Heute coacht der 49-Jährige den Club Fluminense aus Rio de Janeiro und die brasilianische Nationalelf. Mit seinem Verein gewann er vorigen Monat die Copa Libertadores und trifft am Freitag auf Champions-League-Sieger Manchester City im Finale der Club-WM. Diniz ist es nach vielen Umwegen und Entlassungen gelungen, zum spannendsten Trainer Südamerikas aufzusteigen. Wegen seiner empathischen Art, aber auch wegen der originellen Spielweise seines Teams. Den „Dinizismus“ feiern die Fans.

Gegen Manchester ist seine Elf beim Finale im saudischen Dschidda krasser Außenseiter. Die letzten zehn Club-Weltmeisterschaften und 14 der letzten 15 haben die Europäer gewonnen. So zuverlässig bringen sie ihren immer größeren Etatvorsprung auf den Platz, dass man sich fragen muss, was die Aufblähung der Club-WM auf 32 Mannschaften nach dem Ende der kommenden Saison außer den üblichen Mehreinnahmen eigentlich soll. Bei dann zwölf europäischen Startern dürften sie den Titel dann schon ab dem Viertelfinale unter sich ausmachen.

Zum Abschluss des alten Formats gibt es nun aber wenigstens noch ein interessantes Stilduell. Denn Diniz tritt dem in den letzten Jahrzehnten allgegenwärtigen Trend zur Europäisierung des südamerikanischen Fußballs mit einer Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln entgegen. Er geht dabei so weit, dass er sich als „das Gegenteil von Guardiola“ bezeichnete – dem gefeierten Trainerstar von Gegner Manchester City. Der Brasilianer meint damit keinesfalls Catenaccio a la José Mourinho. Diniz bezieht sich auf die Freiheiten, die er den Spielern lässt. Er möchte ihre angeborene Kreativität nicht durch taktische Konzepte hemmen. Die Genies auf dem Platz sollen durch Genies auf der Bank weitgehend unbehelligt bleiben, und selbst über ihren Aktionsradius entscheiden. „Unpositionales Spiel“ nennt er das zur Abgrenzung gegen das von Guardiola gepredigte und in Europa überall verbreitete „Positionsspiel“.

In der Praxis versammeln sich die Profis dann schon mal in großer Gruppe in Ballnähe, auch wenn sie dadurch andere Räume vernachlässigen. Sie suchen spontane Verbindungen untereinander, statt einstudierten Automatismen zu folgen. „Relationismus“ nennt man das in der Fachwelt, wo darauf hingewiesen wird, dass auch die argentinischen WM-Champions solche Muster integrierten. Diniz gilt als offenster Prophet dieser Stilrichtung: „Das Leben ist mehr Kunst als Wissenschaft“, sagt er und nennt als Vorbild das brasilianische Team von 1982 um Socrates und Zico. Es gewann zwar nicht den WM-Titel, „aber viele Herzen, darunter meines.“ Den Sehnsüchten vieler Landsleute gibt Diniz damit eine Stimme. Brasilien hat erlebt, wie es unter dem ständigen Import europäischer Ideen die Identität des „jogo bonito“, des schönen Spiels, preisgab – und damit zuletzt nicht mal mehr Erfolge feierte.

Fluminense begeistert an guten Tagen selbst Guardiola damit so, dass er sich vor der Begegnung am Freitag neugierig auf diesen „sehr brasilianischen Fußball“ zeigt. Aber wo die größten Stars alternde Ex-Nationalspieler wie Außenverteidiger Marcelo, 35, oder Spielmacher Ganso, 34, sind, da hat Südamerikas Vertreter eigentlich keine Chance. Anarchie gegen Ordnung, lange Leine gegen Kontrolle, doch „am Ende werden die Spieler den Unterschied machen“, weiß Guardiola. Und das verheißt dann doch kaum Gutes für Fluminense und seinen Trainerpionier. FLORIAN HAUPT

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