München – Thomas Müller hatte Zeitdruck. „Sonst immer, aber ich krieg‘ sonst den Flieger nicht!“, rief der 34-Jährige den anwesenden Journalisten in der Mixed Zone zu, die nach seiner knapp halbstündigen Dopingkontrolle noch auf ihn als Interviewpartner warteten. Eine Sache wollte Müller aber trotzdem klarstellen, als er zusammen mit Minjae Kim (27) als letzter aus den Katakomben der Wolfsburger Arena lief: „Leverkusen soll langsam mal was liegen lassen!“, brüllte er lachend durch die Gänge, dann verschwand er Richtung Ausgang.
Diese Ansage in Richtung der Elf von Xabi Alonso – halb ernst, halb in typisch humorvoller Müller-Manier gemeint – konnte man durchaus als Motto des 2:1 in Wolfsburg verstehen. Schließlich zeigten sich die Verantwortlichen zwar zufrieden nach dem zähen Erfolg zum Jahresabschluss, wussten den Sieg aber einzuordnen. Thomas Tuchel sprach (50) auf der Pressekonferenz nach Abpfiff von einer „absoluten Top-Reaktion“ seiner Mannschaft auf die 1:5-Klatsche in Frankfurt vor knapp zwei Wochen. „
Wir haben gegen Manchester gewonnen, gegen Stuttgart zu Hause gewonnen. Und jetzt dann nochmal einen Sieg landen können in Wolfsburg, obwohl die Verletztensituation vor allem nach dem Spiel in Manchester extrem war, und dann kamen auch noch Krankheiten dazu“, so Tuchel. Durch die grippalen Infekte von Joshua Kimmich (28) und Leon Goretzka (28) mussten deshalb erneut Aleksandar Pavlovic (19) und Raphael Guerreiro (29) auf der Doppelsechs auflaufen – letzterer, obwohl er „die letzte Nacht komplett auf der Toilette verbracht und gar nicht geschlafen“ hat. Deshalb gebühre der Mannschaft „das größte Kompliment“, so Tuchel.
Können die Spieler und Verantwortlichen beim Rekordmeister nach den Strapazen der letzten Wochen also voller Zufriedenheit stille Weihnachten genießen und in die Winterpause gehen? Nicht ganz. Grund dafür ist vor allem der Konkurrent aus dem Westen, der auch sein letztes Spiel des Jahres gegen den VfL Bochum mit 4:0 gewonnen hat. „Wir haben sehr viele Punkte geholt“, sagte Tuchel über die Konstellation an der Tabellenspitze, aber: „Bayer Leverkusen hat noch mehr geholt – und dafür gebührt ihnen auch der allergrößte Respekt.“ Auch Harry Kane, der mal wieder per Traumtor zum 2:0 getroffen hatte, wollte sich nicht zufrieden zeigen. Man hätte zwar „erst ein Spiel verloren und insgesamt einen super Start“, so der Top-Stürmer. Aber: „Wir wollen uns weiter verbessern und an unsere Grenzen gehen – denn Leverkusen übt Druck auf uns aus.“
Sein Ziel fürs nächste Jahr? Den Spieß umdrehen. „Wir haben noch ein Spiel nachzuholen und spielen außerdem noch gegen sie“, sagte Kane über den Zweikampf an der Spitze. „Es liegt ein großes Jahr vor uns! Ich glaube, dass noch mehr drin ist.“ Heißt: Der Engländer geht mit ordentlich Titelhunger in die Winterpause, schließlich wäre die Meisterschaft die erste Trophäe in seiner Karriere. Dabei helfen soll auch Kanes Familie, die nach der Winterpause endlich nach Deutschland kommt und gemeinsam mit ihm in das neue Haus in Baierbrunn zieht. Bis dahin verbringen die Kanes ihren Weihnachtsurlaub „irgendwo, wo es warm ist“. Seinen alten Teamkollegen aus der Premier League werde er am Boxing Day „Fotos vom Strand“ schicken, in England wird nämlich gespielt.