Seitz schreibt ihr letztes Kapitel

von Redaktion

Die Rekord-Turnerin hängt wieder am Barren und hat Paris fest im Blick: „Zweifel gibt es nicht“

München – Die Schuhwahl ist Elisabeth Seitz leicht gefallen. Als sich die deutsche Turn-Familie am dritten Advent in Baden-Baden traf, um diesen „Feiertag für unseren Sport“ gemeinsam zu erleben, griff die 30-Jährige natürlich: zum Turnschuh. Sicherheit geht für die 25-malige Deutsche Meisterin auch bei besonderen Anlässen vor, „und mein Abendkleid war eh so lang“, erzählt Seitz lachend. Allein dass sie aufspringen und jubeln konnte, als Lukas Dauser als „Sportler des Jahres“ auf die Bühne gerufen wurde, war für sie schon Freude genug.

Es sind die kleinen Schritte auf dem Weg zu mehr Normalität, die Elisabeth Seitz in diesen letzten Wochen und Tagen des Jahres so unglaublich guttun. Das einfache Gehen, ohne Spezialschuh und Krücken, dazu die ersten Elemente am geliebten Stufenbarren. Sogar über die aufgerissenen Hände kann die beste deutsche Turnerin aktuell nur schmunzeln. „Normalerweise“, erzählt sie im Gespräch mit unserer Zeitung, „kriege ich nie Blasen, im Moment sind es drei“. Eines von vielen Zeichen dafür, dass dieses Jahr 2023 für Seitz alles andere als „normal“ war.

Der Knall, der da Anfang September durch die Trainingshalle zu hören war, war nicht nur laut, sondern vor allem schmerzhaft. Eigentlich hatte Seitz sich „gut gefühlt“ an diesem Tag, an dem ihr beim Doppeltwist-Salto am Boden die Achillessehne riss; in dem Moment aber, in dem sie realisierte, dass sie sich schwer verletzt hatte, hatte sie „einen Scherbenhaufen im Kopf“. Die WM in Antwerpen, die Olympia-Qualifikation, ihre anvisierten vierten Spiele 2024 in Paris – all diese Schlagworte waren sofort präsent. Verbunden mit der Frage nach dem Karriereende – die Seitz schnell allerdings beantwortete. Ein Satz, der sie schon durch ihre bald 20 Jahre währende Kader-Laufbahn begleitet, reichte dafür: „Ich bin eine Kämpferin.“

Die Aussage ist für die gebürtige Heidelbergerin keine plumpe Floskel, sondern ein Credo, das sie mit Leben füllt. Und es stand nicht mal zur Debatte, als die deutsche Riege ohne Seitz bei der WM hauchdünn als 13. die Olympia-Qualifikation verpasste. Neben den namentlich qualifizierten Einzelstarterinnen Pauline Schäfer und Sarah Voss kämpft Seitz 2024 um den dritten zu vergebenen Startplatz. Aktuell befindet sie sich in der Reha „voll im Plan“ – und geht das weiter so, wird sie im Juni wieder konkurrenzfähig sein.

Um zu wissen, dass der Weg noch ein weiter ist, reicht ein Blick auf die rechte Wade. Sieben Wochen im Spezialschuh haben ihre Spuren hinterlassen, es fehlt noch ein gutes Stück Muskulatur. Dafür aber merkt Seitz seit der Rückkehr an ihr fußfreundliches Spezialgerät Barren, dass sich die schweißtreibenden Einheiten im Kraftraum ausgezahlt haben. Gerade mal eine Woche war nach der OP im Herbst vergangen, da hob sie schon die Gewichte. „Das Beste für Körper und Kopf“ sei dieses Training gewesen, erzählt sie heute. Denn in ein echtes Loch ist Seitz seitdem nie gefallen. Natürlich gibt es härtere Momente auf dem Weg zum Comeback. Aber echte Zweifel? „Die habe ich nie.“

Man hört im Gespräch eine Frau sprechen, die an sich glaubt. Und Seitz, seit November 30 Jahre alt, ist sich sicher: „Mit 20 hätte ich all das mental nicht so hinbekommen.“ Wer fünf EM- und eine WM-Medaille daheim hängen hat, kann auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen, der Gelassenheit bringt. Und so sagt Seitz halt: „Diese Verletzung ist Teil meiner Geschichte. Wenn es gut geht, kann ich stolz darauf sein.“ Wie bei Fabian Hambüchen, der zum großen Finale – Gold im letzten Wettkampf von Rio – auch aus einer Verletzung kam? Seitz grinst: „Jeder soll seine eigene Story schreiben. In meiner fehlt noch ein Kapitel.“

Der Blick geht nicht mehr viel zurück, aber eine Geschichte muss doch noch erzählt werden. Sie handelt von einem Paket, das Seitz zu Winterbeginn verschickte. Inhalt allerdings war kein Weihnachtsgeschenk, sondern dieser dumme, vollkommen überdimensionale Spezialschuh. „Ich habe ihn fein säuberlich verpackt“, sagt Seitz. Verbunden mit den besten Wünsche: Auf nimmer Wiedersehen!

HANNA RAIF

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