„Wo bleibt der blaue Biersteiger?“

von Redaktion

Kabarettist Altinger über einen Berg an satirischem Stoff im denkwürdigen Löwen-Jahr 2023

München – Was für ein Löwen-Jahr, das da gerade sieg-, tor- und trainerlos zu Ende geht! Die einen sagen: So schlimm wars’ nicht mal in der Saison des Doppelabstiegs 2016/17. Einer wie Michael Altinger (53) sagt sich: 2023 – aus satirischer Hinsicht ein Geschenk, wenn auch eines, das man so eigentlich nicht haben wollte. Wir baten den beliebten Kabarettisten, der mit dem Erlös seiner berühmten Löwen-Shirts das NLZ unterstützt (erhältlich im Fanshop des e.V.), zur satirischen Aufarbeitung.

Herr Altinger, die Löwen überwintern auf Platz 15, ohne Trainer, ohne Sportchef, ohne Torjäger. Was löst das in einem 1860-affinen Kabarettisten aus?

So wie es aussieht, handelt es sich hier um die Heiligen Drei Könige. Die kommen bekanntlich am 6. Januar. Möge der Stern über dem 60er nicht erlöschen, damit sie den Weg zu uns finden.

In der Löwen-Realität passieren Dinge, die sich kein Satiriker ausdenken kann. Geben Sie’s zu: Sie sind es, der heimlich das Drehbuch schreibt!

Okay, ich gebe es zu! Allerdings hatte ich schon am Ende der letzten Saison gedacht, das Buch wäre fertig. Meine Produzenten bei Netflix meinten aber leider, da fehlen noch die richtig heftigen Beziehungskonflikte in der oberen Etage, um die Sache einer breiteren Öffentlichkeit schmackhaft zu machen. Jetzt hab ich dran geschraubt und noch mal an Netflix geschickt. Mal schaun, ob die jetzt endlich zufrieden sind.

Was war für Sie der größte Brüller in 2023?

Zuletzt waren das unglaubliche Elfmeterentscheidungen. Erst hast du kein Glück – und dann kommt auch noch der Schiedsrichter dazu.

An Typen auf der Trainerbank hat es ja 2023 nicht gemangelt. Auf den leutseligen Menschenfänger Köllner folgte der nüchterne Sportchef-Technokrat Gorenzel, der weltmännische Arbeitertyp Jacobacci – und zuletzt der knorrige Hanseat Schmöller. Wer hat Ihnen am besten gefallen?

Ich hab mich mit dem Köllner Michi sehr gut verstanden. Ab seiner Inthronisierung bei 60 waren wir ja immer im Kontakt. Ich mag seine sehr direkte Art, sein Herz auf der Zunge. Solche Typen stehen uns einfach sehr gut und er war ja dann doch ziemlich lange bei uns, wenn man das mal mit der übrigen Trainer-Reihe vergleicht.

Statt eines Sportchefs hat im Sommer eine sogenannte Transfer-Taskforce 18 Spieler an Land gezogen. Beteiligt waren Jacobacci, der Chefscout Jung, der Finanzboss Pfeifer, der Ismaik-Mann Power. Hat eigentlich nur noch der Altinger gefehlt, oder?

Ja, genau. Vielleicht hätte ich sogar Spieler aufgetrieben, die sich länger als eine Saison an den Verein binden wollen. Aber mich hat ja wieder mal keiner gefragt. Nein, im Ernst: Ich weiß nicht, wie das alles gelaufen ist. Die Sehnsucht nach Spielern, die das Sechzger-Gen für länger als zwölf Monate in sich tragen wollen, ist sicher nicht nur bei mir enorm groß.

Zuletzt gab es eine Debatte um den Trainerkandidaten Tobias Schweinsteiger – wegen dessen laut Präsident Robert Reisinger falschen Stallgeruchs. Finden Sie auch, dass ein Schweini mehr blau statt rot riechen muss?

Ideal wäre es, wenn sich vielleicht die Familie Bierofka mit Schweinsteigers vereinen und einen blauen Biersteiger hervorbringen könnte.

Ärger gab es auch nach der Kündigung des Vertrages von Zahlenmensch Marc-Nicolai Pfeifer, dem aktuell einzigen Geschäftsführer. Wäre es für 1860 vielleicht ratsam, gänzlich auf leitende Angestellte und Funktionäre zu verzichten?

Ja, genau. Einen basisdemokratischen Verein, bei dem alle Mitglieder zu jeder Entscheidung abstimmen dürfen. Ich glaube, dann haben wir uns schneller lahmgelegt, als wir bis 60 zählen. Es braucht fähige Leute, die von fähigen Leuten eingestellt werden, um zukunftsfähig zu sein.

Dazu passt die Idee von Martin Gräfer, dem Vorstand der Bayerischen, der von einem virtuellen Stadion träumt, in dem Fans in Australien mit VR-Brille die Spiele in Giesing hautnah verfolgen.

Das wäre eine super Idee! Die meisten 60er-Fans leben ja in Australien. Ich kenne sogar einen: Crocodile Dundee. Vielleicht gibt’s da auch ein paar 60er-Kängurus. Schöne Vorstellung, wie die mit VR-Brille auf der Nase ausflippen nach einer Elfmeterentscheidung gegen uns . . .

Zumindest die Kurve ist weiter kreativ. Highlight war das Plakat: „Wenn eine Pfeife ohne sportliche Power den Max macht, kommt nur Mist raus!“ Eine Verbalwatsch’n für den Finanzchef, den Fanartikelchef und den früheren Sportchef von Türkgücü, der an den Sommertransfers beteiligt gewesen sein soll. Viel Inhalt, verdichtet in einem Konditionalsatz. Eine Form von Kunst?

Davor verneige ich mich jedes Mal wieder. Wenn jemand wirklich kreativ ist bei den Löwen und tolle Ideen hat, dann sind das die Herrschaften in der Westkurve. Abgesehen von ein paar Deppen, die sich der Pyrotechnik verschrieben haben.

Im neuen Jahr wird dann seit langer Zeit mal wieder Abstiegskampf im Grünwalder Stadion zu sehen sein. Warum glaubt der Löwen-Fan Altinger, dass am Ende alles gut ausgeht?

Weil ich ein verdammter Träumer bin, der immer an das Gute glaubt, auch nachdem das Schlechte eingetreten ist. Vielleicht spielen wir ja in der nächsten Saison um einen Aufstieg mit. Jedenfalls hätten wir in Pipinsried wieder was gutzumachen.

Unter dem Strich bleibt festzuhalten: Das Löwen-Jahr 2023 ist schwer zu toppen, zumindest aus humoristischer Sicht, oder?

Ganz ehrlich: Mit Humor hatte das leider wenig zu tun. Aber er war leider wieder mal das einzige Mittel, um dieses Jahr zu ertragen.

Interview: Uli Kellner

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