München – An der Grünwalder Straße geht’s mal wieder drunter und drüber. Nächster Akt im Dauer-Drama des TSV 1860: Die für vergangenen Freitag einberufene Beiratssitzung wurde kurzfristig vonseiten des Investors Hasan Ismaik abgesagt. Eigentlich sollte über die Besetzung des Sportgeschäftsführer-Postens entschieden werden, als Topkandidat galt Dr. Christian Werner, zuletzt Chefscout in Mannheim. Und es bleibt chaotisch: Zuletzt fühlte sich Präsident Reisinger bemüßigt, ein Treffen mit Trainer-Kandidat Marco Antwerpes zu dementieren. Wie MagentaSport-Drittliga-Experte Christian Strassburger die Lage einschätzt? Das Interview:
Herr Strassburger, welches Fazit ziehen Sie nach der Hinrunde?
Ich bin jetzt schon sechseinhalb Jahre bei MagentaSport und man denkt, man hätte schon alles gesehen: Mehr Tore, mehr Zuschauer und mehr Traditionsvereine gehen eigentlich gar nicht. Und trotzdem setzten wir in dieser Saison noch einmal ein fettes Ausrufezeichen. Wenn man Fußballfan ist, sollte man sich diese Liga nicht entgehen lassen.
Dass Unterhaching als Aufsteiger auf Rang neun steht, konnte man auch nicht erwarten, oder?
Stimmt. Bei Haching hat man das Gefühl: Die wissen schon, was sie tun. Sie haben nach dem Aufstieg kaum jemanden dazu geholt. Aber es funktioniert. Die Jugendarbeit muss grandios sein. Der 18-jährige Hoops hat jetzt sein Debüt gegeben, dazu haben sie mit Heide einen U17-Weltmeister. Und mit dem Treffer von Markus Schwabl – dem ersten Sportdirektor, der ein Profi-Tor erzielte – haben sie auch noch Geschichte geschrieben.
Wie blicken Sie auf 1860?
Es ist ganz schwierig und man muss immer aufpassen, welche Worte man wählt. Es gibt ja zwei Lager. Je nachdem, welche Position man einnimmt, gibt’s über Social Media sofort Feuer und Beleidigungen von der anderen Seite.
Welche Schlussfolgerung ziehen Sie daraus?
Dieser Verein ist eine Art Dauerpatient, der immer mal wieder auf der Intensivstation liegt und nach einer Chefarztbehandlung verlangt, aber gar keine Krankenversicherung hat. Das ist ganz traurig mit anzusehen.
Was meinen Sie?
1860 will das eine und das andere. Da die Traditionalisten, denen es hauptsächlich darum geht, im Grünwalder Stadion zu spielen – egal in welcher Liga. Und eben die andere Fraktion, die erhebliche finanzielle Mittel einsetzt, sportlichen Erfolg, aber auch das Profigeschäft kontrollieren will.
Ein zerstrittener Club. Lässt sich die Situation überhaupt noch befrieden? Und was müsste sich dafür ändern?
Die Menschen, die bei 1860 München etwas zu sagen haben, sollen sich endlich darauf konzentrieren, dass es um den Verein geht und nicht um sie selbst. Ich glaube, das wäre der erste Schritt in eine dann rosigere Zukunft. Sollte es weiterhin darum gehen, nur seine vorgeschobenen Interessen in den Vordergrund zu stellen, wird dieser Verein auch ein Dauerpatient bleiben.
Sie haben zuletzt Präsident Robert Reisinger für dessen Stallgeruch-Aussage über Tobias Schweinsteiger kritisiert.
Ja, denn das war einfach stillos. Dass ich dann als Privatmensch beleidigt werde, ist mir wurscht. Aber als Journalist bin ich fassungslos, wie sich dort bekriegt wird. Wenn du da dabei bist, kriegst du einen Schuss ab. Und wenn das die Art und Weise ist, wie man bei 1860 miteinander umgehen will, dann geht da irgendwann das Licht aus.
Aktuell sucht 1860 noch einen Nachfolger für Ex-Coach Jacobacci. Im Gespräch ist Marco Antwerpen. Könnte er den Löwen helfen?
Man muss sich halt entscheiden, was man möchte: Kurzfristig um den Klassenerhalt kämpfen oder langfristig etwas entwickeln? Bei Antwerpen darf man nicht überrascht sein, was man bekommt. Er dreht jeden Stein um und ist ehrlich. Da kann es auch sein, dass er den Präsidenten oder den Geschäftsführer in die Pflicht nimmt. Ich bin mir nicht sicher, ob die bis dato sehr ego-getriebenen Leute bei 1860 den Mut für solch eine Entscheidung haben.
Interview: Johannes Ohr