Oberstdorf – Es gibt eine alte Weisheit im Skispringer-Lager. Engelberg ist das verlässlichste Orakel für die Vierschanzentournee. Wer auf der, den Tourneeanlagen nicht unähnlichen Titlisschanze im Spitzenfeld ist, der ist es meist auch zwischen Oberstdorf und Bischofshofen. Glänzende Aussichten also eigentlich vor allem für den deutschen Senior Pius Paschke, der im Tal der Engel zu seinem ersten Weltcupsieg flog. Als Gesamt-Dritter findet sich Paschke (33) vor der Qualifikation in Oberstdorf am Donnerstag (16.30 Uhr) unter den heißen Mitfavoriten wieder.
Herr Paschke, Sie haben vor drei Jahren schon an der Spitze geschnuppert. Nach einem kleinen Einbruch greifen Sie jetzt ganz oben an. Den ersten Weltcupsieg mit 33 inklusive. Klingt surreal.
Das ist der Wahnsinn, ja. Ich versuche das zu genießen, solange es geht. Wobei man auch sagen muss: So schlecht waren die letzten zwei Jahre auch nicht. Ich habe in beiden eigentlich ganz gut angefangen, dann ein bisschen nachgelassen … Aber klar, wie es jetzt läuft, ist natürlich sehr gut.
Ihr Trainer Stefan Horngacher hatte schon nach den ersten Spitzenplätzen vor drei Jahren gesagt, sie könnten noch besser sein, sie wüssten es nur selbst nicht. Das dürfte nun anders sein.
(lacht) Die Sache ist halt die, dass ich mich mit harter Arbeit immer stetig entwickelt habe. Irgendwann war ich auf Platz 25, dann 15. Aber das sind halt die Bereiche, die niemanden interessieren. Da gab es schon immer mal Momente – mal eine Qualifikation gewonnen, mal im Training in den Top-3. Aber es stimmt schon, dass ich mir so etwas wie jetzt nicht unbedingt zugetraut habe.
Und doch rufen Sie es nun ab. Haben Sie eine Erklärung?
Da kommen ein paar Punkte zusammen. Einer ist sicher, dass ich anfällig für Einflüsse von außen war. Da hat mir Dr. Thomas Ritthaler, der Sportpsychologe, mit dem ich seit Langem zusammen arbeite, sehr geholfen.
Er sagte, dass Sie vor allem bei einem Ereignis wie der Vierschanzentournee „emotionales Lehrgeld“ gezahlt haben …
Ja, das kann man sicher so sagen. Man muss sehen, dass die Tournee normalerweise der erste Wettbewerb mit richtig vielen Zuschauern ist. Wo vieles von außen auf dich einströmt. Aber ich denke, dass es mir jetzt besser gelingt, bei mir zu bleiben.
Bei mir bleiben klingt ein bisschen wie das „Ich mache mein Zeug“, mit dem Sven Hannawald bei seinem Tourneesieg 2002 in Erinnerung blieb.
Na ja, so meine ich das gar nicht unbedingt. Bei mir geht es eher darum, dass ich mich zwischen Wettkämpfen gerne zurückziehe. Im normalen Rhythmus hast du am Wochenende Wettkämpfe, dann bist du ein paar Tage bei der Familie daheim bei Oberaudorf. Das genieße ich sehr. Und dann gehst du zum nächsten Wettkampf. Das ist etwas, was bei der Tournee halt nicht funktioniert, weil die Wettkämpfe, und da muss man die Qualifikationen dazuzählen, fast jeden Tag stattfinden. Da musst du andere Wege finden. Und ich denke, dass ich weiß, wie ich es machen werde.
Es fällt auf, dass auch über die Tournee hinaus nur wenige Athleten über eine ganze Saison hinaus konstante Leistungen bringen können. Sind Auszeiten unvermeidlich?
Ich denke nicht. Zumindest ist bei mir keine vorgesehen. Aber das hat auch ein bisschen mit einer neuen Regel der FIS für den Weltcup zu tun. Statt bisher 6 + 1 Startplätze haben wir jetzt nur noch 5 + 1. Und gerade in einer so starken Mannschaft wie unserer kannst du da schnell an Boden verlieren.
Nach dem starken Saisonstart reisen Sie nun als einer der Mitfavoriten nach Oberstdorf.
Ja, das ist wohl so. Dagegen wehre ich mich auch gar nicht, auch wenn ein paar andere sicher noch mehr im Mittelpunkt stehen. Aber ich bin in einer guten Position. Und die nehme ich gerne an, solange es so gut läuft. Mein Ziel ist auf jeden Fall, meine bisher beste Tournee zu springen.
Was auffällt, ist dass ihre ganze Mannschaft so bereit für den Tourneesieg scheint wie lange nicht. Die Regeländerungen im Sommer scheinen zumindest nicht geschadet zu haben, oder?
Die waren sicher nicht zu unserem Schaden, ja. Andere Teams mussten sich sicher mehr umstellen als wir. Wir haben das neue Reglement von Anfang an konsequent umgesetzt.
Dabei hatte Ihr Teamkollege Karl Geiger bei der Einkleidung vor einigen Wochen noch geschimpft. Er fände es schön, mal einen Sommer ohne Regeländerungen zu erleben. Nachvollziehbarer Ärger?
Ja, das sehe ich trotzdem ganz genauso. Natürlich wäre es schön, wenn man mal einen Weg fände, bei dem einfach in Ruhe weitergearbeitet werden kann. Aber mei, es ist so und was das bedeutet, das hat man ja ja in den ersten Weltcups gesehen. Wobei das noch lange nicht heißt, dass es auch bei der Tournee so aussehen wird. Die Zeit nach Engelberg bis zum Springen in Oberstdorf war in diesem Jahr deutlich länger als sonst. Da kann schon noch viel passieren.
Wie ist es bei Ihnen selbst? Verschieben sich die Ziele durch Erfolge wie in Engelberg auch über die Tournee hinaus?
Ach, da mache ich mir gar keine Gedanken. Ich freue mich darüber, wie es ist. Ich habe zuhause ein kleines Kind und eine Frau, die mir den Rücken freihält. Mir macht der Sport Spaß, das ist das Wichtigste. Aber wenn es positiv läuft wie bisher, dann nehme ich das gerne mit.
Interview: Patrick Reichelt