Voller Terminkalender

Wer will bald noch Fußball sehen?

von Redaktion

VINZENT TSCHIRPKE

Wer verstehen will, was derzeit im Fußball falsch läuft, muss nur in den Terminkalender schauen. 61 Pflichtspiele hatten die deutschen Nationalspieler des FC Bayern dieses Jahr zu bestreiten, und das trotz frühem Ausscheiden in der Champions League und dem DFB-Pokal. Für Vielspieler wie Joshua Kimmich oder den Spanier Rodri war es in der Vergangenheit bei Turnieren im Sommer sogar normal, bis zu 70 Mal auf dem Platz zu stehen – und ab nächstem Jahr wird es sogar noch mehr: Durch die anstehende Europameisterschaft und die Reform der Champions League von 32 auf 36 Teams fällt für die Profis in 2024 eine Vielzahl an weiteren Partien an.

Die Taktik der UEFA ist leicht erklärt: Mehr Spiele bedeuten mehr Zuschauer im Stadion und vor dem Fernseher. Und diese Zuschauer kaufen Eintrittskarten, schauen sich Werbung an, also: Sie bringen Geld für den ohnehin nicht klammen Weltverband ein. Wie lange diese Rechnung noch aufgeht, beantwortet sich anhand zweier Faktoren. Einerseits droht die Gefahr, dass Spieler und Vereine sich irgendwann querstellen und einzelne Wettbewerbe schlicht boykottieren, indem sie auf reine B-Kader zurückgreifen. In Teilen wird diese Taktik längst bei wenig prestigeträchtigen Wettbewerben wie den nationalen Ligapokalen angewendet.

Schon länger kritisieren mächtige Spieler wie Toni Kroos und Kylian Mbappé den vollen Terminkalender, Trainer wie Thomas Tuchel und Jürgen Klopp sowieso. Schließlich sind sie die Leidtragenden von Verletzungen, Reisestrapazen und letztendlich schlechterem Fußball. Doch auch die Fans spielen eine wichtige Rolle. Noch nie war der Fußball unter Jugendlichen so unpopulär. Die junge Generation ist es gewohnt, täglich Spiele schauen zu können, zu den verschiedensten Zeiten. Wer früher tagelang auf eine Begegnung hingefiebert hat, sieht heute auf dem Weg dorthin noch unzählige Partien der Conference League, Nations League und in Saudi-Arabien ausgetragenen Super Cups.

Hat man ein Spiel verpasst? Kein Problem, das nächste kommt schon in ein paar Stunden. Es entsteht eine Überflutung statt Verknappung. Solange FIFA und UEFA weiter versuchen, jeden Cent aus dem Sport zu quetschen, riskieren sie die Gesundheit ihrer Spieler und die Leidenschaft der Fans – bis irgendwann die Blase platzt.

vinzent.tschirpke@ovb.net

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