Oberstdorf – Sie gehörten zu zwei denkbar unterschiedlichen Springergenerationen. Und doch haben Andreas Goldberger (51) und Severin Freund (35) eine kaum bekannte Verbindung. Denn der dreimalige Gesamtweltcupsieger aus Ried im Innkreis hatte auf Freunds Heimatanlage in Rastbüchel immer wieder sein Trainingsquartier. Es scheint sich gelohnt zu haben – immerhin schaffte Goldberger auch, was Freund versagt geblieben war: Er schnappte sich gleich zweimal den goldenen Adler des Siegers bei der Vierschanzentournee (1993 und 1995). Freund hatte 2016 Pech. Der heutige Münchner sprang in allen vier Tourneespringen aufs Podium – und war trotzdem am Ende der klar Geschlagene. Weil es in jenem Winter im Slowenen Peter Prevc einen noch Besseren gab. Heute sind Goldberger und Freund als Fernsehexperten viel präsente Beobachter der Springerszene. Severin Freund in Diensten des ZDF, das unter anderem das Neujahrsspringen in Partenkirchen übertragen wird – Goldberger natürlich für den österreichischen Sender ORF. Vor der 72. Vierschanzentournee, die am Donnerstag mit der Qualifikation in Oberstdorf beginnt, sind sich beide weitgehend einig. Diese Tournee könnte im wahrsten Sinne des Wortes eine deutsch-österreichische werden.
Vor der Vierschanzentournee stehen ausschließlich Deutsche und Österreicher in den Top-5 des Weltcups. Klingt fast wie früher, oder?
Goldberger: So arg wie jetzt war´s noch nie. Es waren schon mal die Deutschen extrem gut und mal die Österreicher. Aber dass beide so ein Niveau haben. und keiner wirklich mithalten kann, daran kann ich mich nicht erinnern. Wobei mir die Deutschen noch eine Spur besser gefallen. Die haben gleich mehrere Siegspringer. Mit Andi Wellinger und Karl Geiger zwei, die schon so viel gewonnen haben. Die werden die Form bis Oberstdorf nicht verlieren, schätze ich. Freund: Ich hoffe es. Goldberger: (lacht) Das passiert dann am Bergisel. Freund: Ja, und beim Krafti (Stefan Kraft, d.Red.) kommt der Knackpunkt in Garmisch…. nein, ernsthaft, ich kann mich auch nicht erinnern, dass es so etwas schon mal gegeben hat.
Zumindest in der Breite…
Goldberger: Ja, und das war vor allem überhaupt nicht vorhersehbar. Letztes Jahr hast du nach dem Sommer gedacht, die Deutschen springen alles in Grund und Boden. Und dann war beim Auftakt in Wisla keiner in den Top-10 und auch danach haben sie lange Probleme gehabt. Und diesmal waren sie im Sommer halt so dabei, Bei den Österreichern war es auch nicht viel anders. Daniel Tschofenig war noch der Beste. Da hättest du auch nicht geglaubt, dass der Kraft so einen Lauf kriegt. Freund: Na ja, die Österreicher waren im Sommer in der Breite schon wirklich gut. Aber für mich waren eher die Norweger extrem überraschend. Die waren komplett in Form, waren im Sommer da. Dann haben sie daheim in Lillehammer schon früh auf Schnee trainiert. Haben sie ja auch selber gesagt, sie dachten, es passt alles. Und dann fahren sie nach Ruka und kriegen erst mal eine drauf. Goldberger: Die lästern ja schon. Der beste Norweger ist der Riiber, der Kombinierer.
Aber haben Sie eine Erklärung für die Wucht der Tournee-Gastgeber?
Goldberger: Erklären kannst du es nicht, nur vermuten. Es hat Materialänderungen gegeben. Die neue Vermessung, die Fersenstandhöhe, die Keile – ich glaube, dass unsere beiden Nationen diesem Reglement am nächsten waren. Sodass es sich jetzt am wenigsten ausgewirkt hat. Hätte man im Sommer ja alles testen können, aber da war der Unterschied nicht so augenscheinlich. Ruka kann passieren, da kann man mal eine draufkriegen. Aber dass Norweger oder Polen auch in Lillehammer so weit weg waren, das hat mich erschreckt. Freund: Ich glaube, dass die Sprunganlage der Deutschen und Österreicher stabiler ist für das Reglement, das man momentan hat. Aber ich glaube auch, dass die beiden Nationen im Sommer einfach mehr rein investiert haben, die Sachen auszutesten. Der ein oder andere war da vielleicht ein bisschen naiv. Wird schon funktionieren bis zum Winter. Und dann muss man sehen: Sachen wie die Standhöhe oder die Keildicke, verändern ja das Zusammenspiel mit dem Ski. Und wenn du da im Sommer bei 25 oder 30 Grad trainierst, dann verhält sich das Material komplett anders. Dann fährst du nach Ruka oder Lillehammer, wo es minus 10 Grad hat, was alles ungleich sensibler macht. Dann fällst du runter und das macht etwas mit dem Kopf. Goldberger: Ich glaube, aber dass die Deutschen auch eine Technikumstellung gehabt. Wenn du vor zwei Jahren den Pius (Paschke, d.Red.) gesehen hast – da ist alles über Absprung und Höhe gegangen. Jetzt machen sie es so lässig im Übergang vom Absprung. Die sind superschnell in der Flugphase, verlieren trotzdem keine Höhe. Die Österreicher waren ja im Sommer ein paar Mal im Windkanal oben in Schweden. Ich denke, dass haben die Deutschen mit dem Steff (Horngacher, d.Red.) auch gemacht. Das kostet, hilft aber brutal. Das ist nicht nur Material, die haben da schon hart gearbeitet. Freund: Auf jeden Fall. Liegt zumindest bei der deutschen Mannschaft ja auch auf der Hand. Die waren sicher alle hungrig nach der letzten Saison. Wenn du aus so einer Saison rausgehst, dann ist jeder motiviert, das will man man nicht noch mal. Dann ziehen alle an einem Strang und dann bringst du auch was weiter.
Was sagt uns das bisher Erlebte für die Tournee? In der Vergangenheit ließen die ersten Saisonspringen oft nicht viele Rückschlüsse zu…
Freund: Ich glaube schon, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass man Deutsche und Österreicher auf dem Gesamtpodest sieht. Die Vorleistungen sind einfach zu gut und sie haben zu viele Eisen im Feuer. Aus einer Mannschaft wie Deutschland kann selbst ein Philipp Raimund aufs Podest springen. Und das macht es für die ganze Mannschaft leichter, als wenn man sich auf nur einen konzentrieren muss. Goldberger: Im Endeffekt kann man sich an Engelberg halten. Da decken viele schon was auf, die Schanze kommt den Tourneeanlagen schon nahe. Wer da gut war, der wird bei der Tournee auch nicht ganz abstürzen. Dazu kommt, dass jetzt fast eine Woche mehr Zeit war. Das tut Nationen wie Japan, Norwegen oder Polen gut, die da noch ein bisschen nachrüsten können. Dazu kommt…
Bitte…
Goldberger: Nach Oberstdorf anzureisen, ist auch für die Deutschen ein ganz anderer Druck. Da passiert schon noch mal was ganz anderes, als wenn wir Österreicher anreisen. Freund: Für die Österreicher ist es leichter, die Tournee zu gewinnen.
Ist das so?
Goldberger: Es wird nie passieren, aber lass uns die Tournee mal andersherum springen – wir starten in Bischofshofen und hören in Oberstdorf auf. Da hätte es schon andere Sieger gegeben. Freund: Das kann gut sein. Es ist doch so, dass du bei der Tournee die ersten Springen überleben musst. Wenn du da gut dabei bist, dann ändert sich an der Form auch nicht viel. Als Österreicher kannst du entspannter reinstarten und dann kommst du heim. Und hast das ganze Stadion auf deiner Seite. Wenn du als Deutscher in einer guten Position da hinkommst und ein Österreicher ist in Schlagweite, dann weißt du: Jetzt wird es fies. Goldberger: Genauso ist es. Als Österreicher ist es wie beim Radlfahren. Zuerst hast du Gegenwind und dann Rückenwind. Da gibst du Gas. Noch leichter ist es nur für die Japaner, Finnen oder Norweger. Die haben nie Druck.
Die letzten zwanzig Jahre geben Ihnen Recht. Die Deutschen sind am Tourneelärm zerschellt. Die Österreicher hatten immerhin eine Siegesserie bis 2015, ansonsten gewannen andere.
Goldberger: Ja, und selbst bei den Österreichern gab es Sachen, die man nicht erklärem kann. Wer hat den Thomas Diethart 2014 auf der Rechnung gehabt? Der ist in den Weltcup gekommen, weil es den Thomas Morgenstern in Titisee gschmissen hat. Und dann gewinnt er die Tournee.
Ist eine Tournee, bei der Deutsche und Österreicher vorne mitspielen, für einen Springer anders?
Goldberger: Für mich schon. Das ist ganz anders für das Publikum, die Athleten. Das ist das Tüpfelchen auf dem I. Das ist fürs ganze Skispringen wichtig, für die Jungen, dass es wieder einen Ansporn gibt. Jetzt ist es endlich wieder einmal so. Auch wenn es wichtig wäre, wenn die anderen noch ein bisschen näher rankommen. Und am Ende lacht der Kobayashi auf einmal wieder. (lacht) Freund: Das stimmt, der kommt langsam wieder in Form. Nein, aber es macht schon was. Mit den Stadien, mit der Atmosphäre, wenn Deutsche oder Österreicher vorne sind. Das kriegst du als Athlet ja auch mit. Du schaust runter und siehst 25 000 Leute, die Lärm machen. Dafür machst du doch den Sport.
Hat man als Athlet auch einmal im Kopf: Hauptsache, ich habe den Österreicher geschlagen?
Freund: Ich nicht. Als ich in der Position war, habe ich einen Slowenen vor mir gehabt. Da schaust du dann doch vor allem auf dein eigenes Ergebnis. Goldberger: Bei mir war es mal der Funaki, mal der Kasai oder Ahonen. Sobald es mal reingelaufen ist, dass sich mal wieder Deutsche und Österreicher gehackelt haben. Bei Dieter Thoma,, Hannawald, Schmidt oder Severin, dann hat es eigentlich immer einen lachenden Dritten gegeben. Der Gregor Schlierenzauer hätte 6, 7 Mal die Tournee gewinnen können, aber dann war plötzlich ein Janne Ahonen oder ein anderer Österreicher besser. Du darfst nie gegen einen anderen springen, du musst für dich springen.
Das wird Stefan Kraft gelingen, weil….
Goldberger: Weil dem Oberstdorf so liegt und er den Deutschen den Nerv ziehen wird. Und weil er diesmal durch Garmisch-Partenkirchen durchkommen wird. Aber ehrlich gesagt: Mein Tipp ist Wellinger, Kraft, Geiger… Kobayashi, Lanisek auf 4 und 5.
Gehen Sie mit, Herr Freund. Ein Deutscher gewinnt, weil….
Freund: Weil sie heuer so stabil aufgestellt sind, wie in den letzten acht Jahren nicht. Und weil es so viele aus der deutschen Mannschaft gibt, die oben stehen könnten. Goldberger: Schön wäre es, wenn Österreich und Deutschland wirklich bis zum letzten Sprung in Bischofshofen um den Sieg dabei sind. Freund: Das wäre tatsächlich mal wieder cool. Bischofshofen war in den letzten Jahren doch so ein Abholen. Selbst bei mir damals mit Peter (Prevc, d. Red) war das so. Wir waren ziemlich auf Augenhöhe und trotzdem war mit klar, dass ich da nicht mehr hinkomme. Das sollte mal wieder anders sein. Und es wäre schön, wenn es vier faire Wettkämpfe bei guten Bedingungen wären. Bei denen die Jury klug die Regie führt.
Interview: Patrick Reichelt