München – Für Oliver Zeidler war es mal wieder ein historisches Jahr. Im September triumphierte der 27-Jährige bei der Ruder-Weltmeisterschaft in Belgrad, es war bereits der dritte Titel in Serie. Der Gold-Hattrick brachte Zeidler bei der Wahl zum Sportler des Jahres den dritten Platz. Mit unserer Zeitung spricht der Ausnahme-Ruderer über Schmerzen auf dem Boot, die Krise im deutschen Verband und die Olympia-Mission.
Oliver Zeidler, in Belgrad sind Sie dieses Jahr wieder Weltmeister geworden. Wie präsent sind die Erinnerungen daran noch?
Dreimal hintereinander Weltmeister werden, war natürlich etwas Besonderes. Das war ein Stück Rudergeschichte. Auch von den ganz großen Namen in der Geschichte der deutschen Einerfahrer hat das keiner geschafft. Ich bin eine gute Saison gefahren und wollte mich beim Saisonhöhepunkt belohnen. Auf der Zuschauertribüne saß meine Mutter. Ich wollte beweisen, dass ich auch gewinnen kann, wenn sie da ist (lacht). Um den Fluch der vergangenen Jahre zu brechen. Jetzt bin ich schon wieder voll in der Olympia-Vorbereitung, da zählen die Ergebnisse vom letzten Jahr nicht mehr. Man muss wieder neu beweisen, dass man es draufhat.
Nehmen Sie uns einmal mit, wie fühlt sich so ein Ruderrennen an?
Man geht durchgehend an seine Leistungsgrenze. Wenn man eine Runde im Stadion sprintet, ist man nach etwa einer Minute im Ziel, wenn man schnell ist. Und wir haben das Siebenfache. Man muss sich in Trance begeben, um den Schmerz, der teilweise schon nach 500 Meter einsetzt, zu ignorieren. Man fährst schon Vollgas los, die Beine brennen, aber dann sind es noch 1,5 Kilometer bis ins Ziel. Erst die Beine, dann der Oberkörper, dann die Arme. Der Schmerz durchfährt den ganzen Körper, so war es auch im WM-Finale. Aber ich bin sehr gut darin, den Kopf auszuschalten. Die Fähigkeit habe ich über die Jahre entwickelt.
In München haben Sie bei der EM eine Medaille verpasst, spielt das in Ihrem Kopf noch eine Rolle?
Das spielt keine Rolle mehr. Ich habe das Thema mit meiner Sportpsychologin durchgekaut und bin mit München im Reinen.
Starten Sie ins Olympia-Jahr noch mal mit mehr Power?
Das muss man tun. Olympia ist noch mal was anderes als eine Weltmeisterschaft, das musste ich 2021 auf die harte Tour lernen. Olympia hat seine eigenen Regeln, alle sind topfit, es kann Überraschungen geben. Für diese Bühne muss man optimal vorbereitet sein und noch mal ein paar Schritte nach vorne machen. In Tokio war ich noch sehr unerfahren, das war alles überwältigend. Das Rennen musste aufgrund des Wetters mehrfach verschoben werden, im Halbfinale bin ich dann das schlechteste Rennen meiner Saison gefahren. In Paris möchte ich eine Medaille gewinnen.
Der Deutsche Ruderverband hat längst nicht mehr die Erfolge von früher, Sie sind die einzige Medaillenhoffnung. Wie gehen Sie damit um?
Das spielt für mich keine Rolle. Ich rudere ja für mich und nicht, um irgendeine Verbandsstatistik aufzubessern. Von daher bewegt mich das relativ wenig bis überhaupt nicht.
Sie haben mit Ihrer Kritik einiges angestoßen, zuletzt ist es ruhiger geworden. Eine bewusste Entscheidung?
Ich bin da absolut mit mir im Reinen. Ich habe meine Meinung klar gesagt. Letztendlich muss der Verband schauen, ob er weiter in den unteren Rängen des Medaillenspiegels rumkrauchen möchte, wo er sich momentan befindet, oder ob er die allgemeine Kritik von den Athleten ernst nimmt und an den entsprechenden Stellschrauben dreht. Aber das ist nicht meine Aufgabe. Ich konzentriere mich auf meinen Erfolg, auf Olympia – und dann werden wir sehen, was wird.
Sie arbeiten neben dem Leistungssport. Wie sieht der Tag da aus?
Es ist alles komplett durchgetaktet. Ich rudere in der Früh, im Sommer auch gerne vor sieben Uhr, im Winter eben nach Sonnenaufgang. Dann geht es in die Arbeit, danach oder in der Mittagspause Physiotherapie und meistens noch eine Einheit im Anschluss an die Arbeit. Das Programm wird bei Wind und Wetter durchgezogen. Durch diese Doppelbelastung werde ich niemals in der Lage sein, herauszufinden, wie schnell ich dieses Boot eigentlich bewegen könnte. Aber auch ohne den Status als Vollprofi will ich meine eigenen Grenzen natürlich immer weiter verschieben und das Maximum rausholen, diesen Anspruch habe ich auf jeden Fall.
Interview: Nico-Marius Schmitz