Thomas Weikert (62) gibt sich zuversichtlich. Trotz fehlender finanzieller Zusagen aus der Politik für mögliche Olympische Spiele in Deutschland startet Weikert mit Rückenwind ins Jahr 2024. Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes hat sich Zeit genommen, um mit unserer Zeitung über die deutsche Olympia-Offensive, die Russland-Frage und Supertalente zu sprechen.
Herr Weikert, was überwiegt beim Start in 2024 – Rückenwind für die Olympia-Offensive oder doch eher Gegenwind aufgrund fehlender finanzieller Zusagen und Unstimmigkeiten beim Russland-Kurs zwischen DOSB und der Politik?
Ganz klar Rückenwind. Wer das starke Zeichen der deutschen Sportverbände auf unserer Mitgliederversammlung Anfang Dezember in Frankfurt gesehen, wer die lebendigen Diskussionen in den interessierten Städten miterlebt hat oder die neuesten Umfragen kennt, der spürt Zustimmung. Und dass wir uns bei den Finanzen ein wenig gedulden müssen, bis der Bundeshaushalt wieder auf sicheren Beinen steht, haben wir im Sport momentan ja nicht exklusiv.
Sie haben von der Politik klare Zusagen gefordert. Wie optimistisch sind Sie, dass 2024 im Rahmen der Olympia-Bewerbung dann auch wirklich an einem Strang gezogen wird?
Die interessierten Städte haben ihre Absichten in entsprechende Memoranden geschrieben und die Bundesregierung hat bei jeder Gelegenheit ihren guten Willen bekundet. Ich bin mir sicher, dass sie nachzieht, sobald der Bundeshaushalt in trockenen Tüchern ist.
Sie haben bereits versichert, dass der neue Russland-Kurs nichts mit mehr Chancen bei der Olympia-Bewerbung und einem Einknicken vor dem IOC zu tun hat. Jedoch tobt der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine weiter, es gäbe also keinen Grund, die eigene Position zu ändern. Zudem hat das vom DOSB in Auftrag gegebene Gutachten klar herausgestellt, dass der Ausschluss russischer Athleten nicht gegen internationale Diskriminierungsverbote verstößt. Ein weiteres Argument von Ihnen ist, dass Deutschland im Weltsport sonst allein dastehe. Sollte der DOSB nicht souverän genug sein, eine eigene Haltung zu entwickeln und dieser auch bei Widerstand treu zu bleiben?
Schon in der Fragestellung zeigt sich ein zentrales Missverständnis, denn wir haben unsere Haltung vom Grundsatz her nicht geändert, sondern aufgrund neuer Entwicklungen unsere Position modifiziert: Wir verurteilen weiterhin den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine auf das Schärfste und unterstützen die massiven sportlichen Sanktionen, die nach wie vor gelten. In Russland und Belarus dürfen keine internationalen Wettkämpfe stattfinden, nationale Symbole und Farben sind verboten, das russische NOK ist suspendiert.
Was hat sich also geändert?
Was sich weiterentwickelt hat, sind wesentliche Rahmenbedingungen im Weltsport. Die große Mehrheit der internationalen Sportverbände hat neutrale Athleten unter strikten Auflagen wieder zugelassen und die Umsetzung funktioniert größtenteils. Von herausragender Bedeutung für uns ist zudem, dass ukrainische Athleten seit Juli diesen Jahres an Wettkämpfen mit neutralen Athleten teilnehmen. Außerdem hat das IPC entschieden, neutrale Athleten zu den Paralympics in Paris zuzulassen und auf dem IOC Athletes Summit haben sich die meisten Athleten für eine Wiederzulassung ausgesprochen. Sie sagen mehrheitlich, dass Athleten niemals für das Handeln ihres Staates bestraft werden sollten. Diese Entwicklungen können wir als DOSB-Präsidium nicht einfach ignorieren. Und wir haben bereits in unserer ersten Stellungnahme im Frühjahr 2022 gesagt, das Wesen des Sports sei es, Menschen im friedlichen Wettstreit zusammenzubringen. Das IOC hat nun eine Entscheidung für Paris getroffen und damit für Klarheit gesorgt. Nun kommt es ganz entscheidend darauf an, wie konsequent die Auflagen umgesetzt werden. Momentan wird ja vielfach der Eindruck erweckt, als drohe in Paris nun der Einmarsch einer kompletten, nur dürftig als Neutrale getarnten russischen Mannschaft, also rund 450 Athleten. Dabei werden die Sanktionen ausgeblendet, dass alle russischen Teams von Vornherein ausgeschlossen sind. Zusätzlich sind diejenigen ausgeschlossen, die eine Verbindung zu den Sicherheitskräften haben oder propagandistisch auffällig geworden sind. Momentan haben die Weltverbände laut IOC elf Sportler aus Russland und Belarus als mögliche Teilnehmer identifiziert, bei bislang 4600 vergebenen von insgesamt rund 10 500 Startplätzen.
Sie sprachen beim neuen Russland-Kurs von einer „Meinung des deutschen Sports“ – Athleten Deutschland hält jedoch aktuell an der Forderung eines Totalausschlusses Russlands fest. Ist es also wirklich die Meinung von Sport-Deutschland oder die Meinung der DOSB-Funktionäre?
Bei dieser komplexen Frage gibt es naturgemäß verschiedene Sichtweisen, auch im deutschen Sport. Wir beobachten als DOSB-Präsidium konstant die Lage und haben aus den obigen Gründen unsere Position modifiziert. Aber natürlich sprechen wir darüber auch mit unseren Mitgliedsorganisationen und den Vertretern der Athleten.
Beim letzten Interview haben wir uns im Rahmen der European Championships in München getroffen. Dort wurde wieder einmal klar: Deutschland kann Sport-Großveranstaltungen, es war eine Euphorie zu spüren, die Massen waren im TV und in den Stadien. Bewerbungen für Olympia scheiterten aber sieben Mal in Folge. Liegt das Ihrer Meinung in erster Linie am fragwürdigen Bild des Gigantismus und Kommerz, das die Olympischen Spiele in den vergangenen Jahren häufig abgegeben haben?
Das ist einer der Hauptgründe, warum immer noch einige Menschen Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland kritisch sehen. Deshalb haben wir als DOSB ja auch von Beginn an gesagt, dass wir zwar gigantische Spiele, aber keinen Gigantismus wollen. Wir planen deshalb für unsere Bewerbung auch keine teuren Neubauten und werden auch sonst sehr kostenbewusst arbeiten. Wir wollen, dass das Budget die Planungen bestimmt. Nicht die Planungen das Budget.
Der DOSB hat Befragungen durchgeführt, in vielen Städten Dialogforen abgehalten. Welche Wünsche und Kritikpunkte der Bevölkerung haben Sie dabei besonders mitgenommen?
Die Menschen wollen mehrheitlich Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland. Aber sie wollen sie nicht um jeden Preis. Wir haben durch den Dialogprozess in diesem Jahr ein sehr gutes erstes Gefühl bekommen, welche Erwartungshaltung die Menschen an eine erneute Bewerbung haben, welche Vorbehalte noch existieren. Vielen ist wichtig, dass wir in den vor allem in den Bereichen ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit gute Konzepte entwickeln, damit mögliche Spiele in Deutschland eine Legacy, also ein lang wirkendes Vermächtnis für die Gesellschaft erzielen können. Wichtig ist, dass wir nunmehr ein Bewerbungskonzept entwickeln, dass die Erwartungen der Gesellschaft, der Politik und des Sports gleichermaßen erfüllen. Ich bin durchaus zuversichtlich, dass uns das gelingt.
Schon im letzten Interview haben wir über die (finanziellen) Mängel in der Sportförderung in Deutschland gesprochen. Die Leichtathletik-WM in Eugene hat deutlich gezeigt, wie weit die Weltspitze weg ist. Während der Corona-Krise hat zudem der Breitensport schon sehr gelitten, jetzt gibt es aufgrund der Haushaltssperre keine Zusagen. Klingt nach viel Arbeit für Sie.
Gut, dass Sie den Breitensport in einem Atemzug mit der Spitzensportförderung erwähnen. So banal das klingen mag – im Sport hängt alles mit allem zusammen. Sie finden nur ausreichend Hochbegabte, die es bis zu Olympischen Spielen schaffen, wenn Sie in einem ausreichend großen Pool suchen und sichten. Wenn Kinder und Jugendliche sich immer weniger bewegen, weil Schulangebote, Hallen und Schwimmbäder fehlen, werden wir immer weniger Supertalente entdecken. Wenn wir uns ehrlich machen, können wir das aber nicht allein bei Kultuspolitikern und Geldgebern aus Kommunen, Ländern und Bund abladen. Was ist mit uns selbst? Wie leben wir unseren Kindern vor, dass Bewegung Lebensfreude und Gesundheit bringt. Es hatte als Folge der Pandemie eine gemeinsame Reaktion von Politik und Sport gegeben, hin zu mehr Bewegung und Gesundheit. Die darf nicht einschlafen und muss Ergebnisse bringen. Wenn wir die Basis stärken, erhöhen wir auch die Chancen der Spitzensportreform, die mithilfe einer Sportagentur und auf Basis eines Sportfördergesetzes flexibler und kreativer arbeiten soll.
Interview: Nico-Marius Schmitz